Verfassungsschranken (Staatsvertragsschranken)
In StGH 1998/61 hat der Staatsgerichtshof dem EWRA nicht nur den
„Kerngehalt“3387 (den ,Kernbereich^3388) der von der LV und von
der EMRK garantierten Grundrechte vorbehalten, sondern auch (an-
dere) „Grundprinzipien ... der Landesverfassung “3889, Dieser Vorbe-
halt lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, inwiefern der Staatsge-
richtshof in diesem Erkenntnis auf die Idee (geschriebener oder
ungeschriebener) Verfassungs- in Form von Staatsvertragsschranken*820
Bezug genommen hat.
Um welche Reserven es sich im Einzelnen handelt, ist StGH
1998/61 nicht zu entnehmen. Fest steht nur, dass der Staatsgerichts-
hof in diesem Erkenntnis die nach wie vor massgebende Vermutung
der Postulatsbeantwortung bestätigt hat, wonach , die Frage einer Ver-
fassungsdurchbrechung durch Staatsvertráge nur áusserst selten
aktuell werden dürfte; und sogar, soweit sie aktuell wird, der Staats-
gerichtshof nur in Extremfüllen eine Verfassungswidrigkeit solcher
volkerrechtlicher Vertráge annehmen dürfte^339?!, [n StGH 1998/61
scheint es zu einem solchen Extremfall gekommen zu sein. Welche
Charakteristiken zeichnen diesen aus?
Dass der Staatsgerichtshof in StGH 1998/61 von einer Antwort
auf diese Frage abgesehen hat, ist vor allem deshalb zu bedauern, weil
von der Lehre (unter Berufung auf StGH XIIL /1947-1954) einerseits
zu Recht anerkannt worden ist, ,dass das liechtensteinische Verfas-
sungsrecht eine Verfassungsdurchbrechung durch vólkerrechtliche
Vertráge grundsátzlich zulásst339?, Andererseits hat die Lehre im
EWRA keinen ,identitátsverándernden Einbruch in die konstituie-
renden Prinzipien und Strukturen der liechtensteinischen Verfas-
sung 3393 gesehen, der einen Vorbehalt im Sinne von StGH 1998/61
legitimieren kónnte: Das EWRA kann ,den Verfassungsaufbau als
solchen nicht gefáhrden"339^; jenes Kriterium, das die Postulatsbeant-
wortung als Schranke für die Abweichung eines vólkerrechtlichen
3387 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 130.
3388 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 131.
3389 StGH 1998/61, LES 3/2001 S. 130.
3390 Siehe hierzu das 9. Kapitel.
3391 Postulatsbeantwortung S. 17f (Kursivstellung durch den Verfasser).
3392 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7. Siehe zu allem Hammermann S. 68, der eine Verfassungs-
durchbrechung unter den Vorbehalt einer ,Wahrung der Verfassungsidentitat® stellt, sowie die
Regierung (BuA Nr. 1/1995) S. 181: ,Vólkerrechtliche Vertráge kónnen ... sogar der Verfas-
sung vorgehen".
3393 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7 unter Berufung auf Wille (Staatliche Ordnung) S. 85ff.
3394 Postulatsbeantwortung S. 12.
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