Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Unterordnung zur Voraussetzung hat?396 — in diesem Falle eine 
Überordnung der EMRK über das EWRA. 
Die damit verbundene Neuordnung der Hierarchie zwischen 
dem EWRA und der EMRK wirkt sich auf den Rang und Vorrang 
des einen vor der anderen nicht nur theoretisch, sondern - im Sinne 
von StGH 1990/7 oder StGH 1995/21 - auch praktisch aus3367: Die- 
ser Vorgang eróffnet die Móglichkeit einer Derogation des einen vól- 
kerrechtlichen Vertrages (des EWRA) durch einen anderen (die 
EMRK). Wie ist er unter Berücksichtigung der Praxis des Staatsge- 
richtshofes vor StGH 1998/61 einzuschátzen? 
In StGH 1996/34, einem Erkenntnis vom 24. April 1997, hatte 
der Staatsgerichtshof dem EWRA „materiell einen verfassungsän- 
dernden bzw -ergánzenden Charakter^3368 und in StGH 1998/9, ei- 
nem Erkenntnis vom 2. September 1999, eine , Suprematie ... über das 
inlándische Gesetzesrecht"3369 zupebilligt. In beiden Fállen ist das 
EWRA auf eine Rechtsquellenstufe oberhalb formeller Gesetze bzw. 
auf Verfassungsstufe gestellt worden. Ein Teil, wenn nicht die Mehr- 
heit der Lehre ist noch weiter gegangen und hat dem EWR-Recht 
„grundsätzlich Überverfassungsrang 3870 beigemessen: Es sei ,da- 
von auszugehen, dass die Verfassung ... nicht gegen EWR-Recht ver- 
stossen dürfte"337!; das ,EWR-Vertragswerk beansprucht zusammen 
mit dem in seinem Rahmen übernommenen Sekundärrecht Vorrang 
vor dem gesamten liechtensteinischen Recht einschliesslich der Ver- 
fassung "9372, 
Was gilt nun: Wie ist das Rangverhältnis zwischen der EMRK 
und der LV auf der einen Seite und dem EWRA auf der anderen Seite 
beschaffen? Geht das EWRA als ein verfassungsándernder bzw. —er- 
3366 Siehe zum Prüfungsmasstab im Rahmen der Normenkontrolle Wille (Normenkontrolle) S. 
284ff. 
3367 Siehe hierzu StGH 1995/21, LES 1/1997, S. 18ff. In diesem Erkenntnis stand der Rang und 
Vorrang der EMRK einerseits und des Auslieferungs-Vertrages vom 22. Mai 1936 zwischen 
dem Fürstentum Liechtenstein und den Vereinigten Staaten von Amerika, LGBI. 1937 Nr. 11; 
LR 0.353.913.11, andererseits in Frage. In StGH 1995/21, LES 1/1997, S. 28 hat der Staats- 
gerichtshof erklärt, „jedenfalls geht die EMRK früheren sowie in der Normenhierarchie nieder- 
rangigen Staatsverträgen vor. Abgesehen von der zeitlichen Derogationswirkung der EMRK 
gegenüber dem Auslieferungsvertrag mit den USA besteht auch kein Zweifel, dass der Aus- 
lieferungsvertrag eine im Vergleich zur EMRK untergeordnete Normstufe aufweist“. 
3368 StGH 1996/34, LES 2/1998 S. 80. In der Lehre wird dem EWR-Primär und -Sekundärrecht 
z.T. sogar ein Überverfassungsrang zugebilligt; siehe hierzu Hoop S. 305 oder Batliner 
(Schichten) S. 298. 
3369 StGH 1998/9, LES 3/1999 S. 183. 
3370 Batliner (Schichten) S. 298 (Fussnote 43) oder Hoop S. 305. 
3371 Hoch (Verfassung- und Gesetzgebung) S. 209. Im gleichen Sinne wohl Nuener S. 178. 
3372 Thürer (Vólkerrechtsordnung) S. 112. 
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