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Formelle und Materielle Verfassungsmässigkeit des
Völkervertragsrechts
Formelle Verfassungsmässigkeit
Die Praxis des Staatsgerichtshofes zur formellen Verfassungsmässigkeit
des Völkervertragsrechts hat sich vor allem auf die Art und Weise
der Kundmachung des Wirtschaftsvertragsrechts bezogen. Zwischen den
von ihm aus der „formellen Rechtsetzungsvorschrift des Art. 65 der Ver-
fassung“90391 abgeleiteten und in ständiger Rechtsprechung durchge-
setzten hohen Kundmachungsstandards® und dem Zähneknirschen,
mit dem er deren sowohl rechtliche als auch tatsächliche Negierung
durch Landtag und Regierung hinzunehmen hatte, liegen zwanzig
Jahre einer für alle Parteien frustrierenden Praxis.
Stein des Anstosses war eine Uneinigkeit (zwischen dem Staats-
gerichtshof einerseits und Landtag und Regierung andererseits) über
die Frage gewesen, ob das Wirtschaftsvertragsrecht in seinem voll-
ständigen Wortlaut oder vereinfacht kundzumachen ist: Während von
Landtag und Regierung immer wieder „Nützlichkeitserwägun-
gen^3033 geltend gemacht worden waren, um dieses nur in Titel und
Fundstelle kundmachen zu kónnen (Referenzpublikation; Kundma-
chung in vereinfachter Form), hat der Staatsgerichtshof immer wie-
der auf einer Integralpublikation (Kundmachung im vollstándigen
Wortlaut) bestanden. In diesem Spannungsverháltnis sind sowohl
Verfassungs- als auch Gesetzesänderungen wirkungslos geblie-
ben?09^, Sein Kristallisationspunkt ist Art. 11 Abs. 1 Bst. a KmG?095
gewesen.
Trotz der Verfassungs- und Gesetzesánderung aus dem Jahre
1996, der zweiten Reform des Kundmachungsrechts9096, ist nach wie vor
nicht gesichert, dass der Leidensweg dieser Auseinandersetzung ein
3031 StGH 1981/18, LES 2/1983 S. 41 (Kursivstellung durch den Verfasser).
30321n StGH 1996/28, LES 2/1998 S. 58 hat der Staatsgerichtshof seine Praxis als „strenge
Kundmachungsrechtsprechung" bezeichnet, nachdem er in StGH 1977/10, LES 1981 S. 58
bereits darauf hingewiesen hatte, dass es sich bei seinen hohen Kundmachungsstandards
um ,allgemeine Grundsátze einer rechtsstaatlichen Rechtsetzung" handle.
3033 Büchel/Becker (Innerstaatliche Geltung) S. 91.
3034 Siehe zu allem, insbesondere zum Ziel der Verfassungs- und Gesetzesánderung aus dem
Jahre 1985, d.h. zur ersten Reform des Kundmachungsrechts, Büchel/Becker (Innerstaatliche
Geltung) S. 90f oder Becker (2. Teil) S. 84ff.
3035 Siehe zum Sinn und Zweck von Art. 11 Abs. 1 Bst. a KmG Becker (2. Teil) S. 90f.
3036 Siehe hierzu das 24. Kapitel Pkt. 2.
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