Ihrem Wesen nach bietet die Befreiungsmöglichkeit, die einem
öffentlichen Rechtsträger durch den ‚Vertretbarkeitsvorbehalt‘ im
Sinne der Praxis des OGH zum AHG eröffnet wird, die Gelegenheit
zu einem Gutglaubensbeweis, derer sich der öffentliche Rechtsträger
zu jedem Zeitpunkt bedienen kann, um sich vor einer Durchsetzung
von Amtshaftungsansprüchen zu schützen. Gelingt ihm der Nach-
weis, dass die Qualität seines Verhaltens dem Gebot der Sorgfalt ent-
sprochen hat (indem z.B. die Grundsätze der juristischen Methoden-
lehre in Rücksicht gestellt worden sind) und dass er von diesem
Umstand nach Treu und Glauben ausgehen konnte, befreit er sich
vom Vorwurf eines Verschuldens oder einer Widerrechtlichkeit und
damit von seiner Haftbarkeit. In diesen Fällen, wenn der öffentliche
Rechtsträger in seiner Rechtsauslegung und -anwendung also das
vom OGH in seiner Praxis geforderte Mindestmass an Sorgfalt beachtet
hat, wirkt sich der ihm zur Verfügung stehende ‚Vertretbarkeitsvor-
behalt’ wie eine Immunisierung seiner amtlichen Tätigkeit unter dem
AHG aus: Sein Verhalten ist dann als eine „vertretbare ... Rechtsauf-
fassung/?975 bzw. ,Rechtsansicht"?976 zu behandeln, wenn er nur
nach Treu und Glauben geltend machen kann, dass er sorgfältig vor-
gegangen ist.
Und nicht nur dies: Wird die Praxis des OGH beim Wort ge-
nommen, kann es zur Haftbarkeit eines óffentlichen Rechtstrágers
von vornherein nur unter der Bedingung kommen, dass eine „völlig
eindeutige Gesetzeslage oder ständige höchstgerichtliche Recht-
sprechung“2977 besteht, von der abgewichen wird. Nur in diesem
Falle kann das Verhalten des öffentlichen Rechtsträgers (ein Abwei-
chen von diesen Vorgaben) eine Haftbarkeit nach sich ziehen.
In einem Umkehrschluss bedeutet dies, dass es überall dort, wo
keine klaren und eindeutigen Vorgaben in Form von ebensolchem Ge-
setzes- und Richterrecht bestehen, von vornherein zu keiner Haftbar-
keit eines von diesen Vorgaben abweichenden öffentlichen Rechtsträ-
gers kommen kann. Und selbst wenn ein öffentlicher Rechtsträger
von einer „völlig eindeutigen Gesetzeslage” oder von einer „ständi-
ge(n) hächstgerichtliche(n) Rechtsprechung“?98 abgewichen ist,
steht ihm mit dem Nachweis, sorgfältig vorgegangen zu sein, auf-
grund der Praxis des OGH eine (wirksame) Befreiungsmöglichkeit
offen.
2975 Beschluss des OGH vom 5. Februar 1998, OG-C 471/95, LES 4/1998 S. 233.
2976 Urteil des OGH vom 1. April 1999, OG-C 471/95-57, LES 4/1999 S. 246.
2977 Beschluss des OGH vom 5. Februar 1998, OG-C 471/95, LES 4/1998 S. 233.
2978 Beschluss des OGH vom 5. Februar 1998, OG-C 471/95, LES 4/1998 S. 233.
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