Unabhängig von der Alternative eines formell oder materiell
angelegten Ausgangspunktes haben die als Orientierungshilfe einge-
setzten Ordnungsprinzipien zu berücksichtigen, dass das Rangver-
hältnis zwischen dem Völkervertrags- und dem Landesrecht nur in
einigen wenigen Fällen Relevanz besitzt!9?9, Diese Sachverhalte er-
geben sich vor allem in jenen Fällen, in denen:
e über die Eignung eines völkerrechtlichen Vertrages als Prü-
fungsmasstab der Normenkontrolle zu befinden oder
e gemäss Art. 70b Abs. 1 VRG eine Vorprüfung von Verfas-
sungs- oder Gesetzesitiativen vorzunehmen ist1630,
Zur Notwendigkeit, über die Rechtsquellenstufe des Vólker-
vertrags- in seinem Verhältnis zum Landesrecht Rechenschaft abzu-
legen, kommt es also vor allem dann, wenn die Übereinstimmung einer
bestehenden oder einer entstehenden Bestimmung des Landes- mit dem Völ-
kervertragsrecht in Frage steht. In beiden Fällen steht die Beschaffen-
heit des Prüfungsmasstabs in Frage: des als Referenzgrösse dienenden
völkerrechtlichen Vertrages.
Dass die Eignung eines völkerrechtlichen Vertrages als Prü-
fungsmasstab dessen Verfassungsrang (im Falle von Verfassungs- oder
Gesetzesinitiativen oder von formellen Gesetzen als Prüfungsgegen-
stand) bzw. (formellen) Gesetzesrang (im Falle von Gesetzesinitiativen
oder von Verordnungen als Prüfungsgegenstand) voraussetzt, liegt
auf der Hand und ist auch Teil der Praxis des Staatsgerichtshofes. So
hat der Staatsgerichtshof in StGH 1996/34 aus dem ‚materiell verfas-
sungsándernden bzw. -ergánzenden Charakter' des EWRA geschlos-
sen, ,dass der StGH seine Normenkontrollfunktion auch in bezug
auf die Übereinstimmung innerstaatlicher Gesetze und Verordnun-
gen mit dem EWR-Recht wahrzunehmen hat^163!, und in StGH
1978/8 eine Verordnung auf ihre Übereinstimmung mit einem vól-
kerrechtlichen Vertrag überprüft, dessen , Rechtsquellen-Qualitét als
eine Vorschrift auf der Stufe eines Gesetzes 193? ausser Streit gestellt
worden war. Der Rang eines vólkerrechtlichen Vertrages bzw. dessen
Bestimmung (und Bestimmbarkeit) bildet also eine conditio sine qua
non dafür, dass der Staatsgerichtshof das Rechtsschutz- und Rechts-
sicherheitssystem der Normenkontrolle auf eine Überprüfung der
1629 Siehe hierzu oben Pkt. 1.
1630 Siehe hierzu den BuA Nr. 50/2001 (Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des
Fürstentums Liechtenstein betreffend die Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative zur
Abänderung von Art. 20 der Landesverfassung) S. 13f.
1631 StGH 1996/34, LES 2/1998 S. 80.
1632 StGH 1978/8, LES 1981 S. 6.
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