Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Fest steht in jedem Falle, dass die Revision von Art. 92 LV 
durch die Verfassung vom 16. März 2003 die Unterschiede zwischen 
unmittelbarer Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit des Völ- 
kervertrags- im Landesrecht!38? übergeht, dass sie das Gegenteil des- 
sen bildet, was ihr von Winkler unterstellt worden ist!38^, und dass 
diese Revision den Radius des vólkervertragsrechtlichen Verord- 
nungsrechts unter den folgenden beiden Gesichtspunkten beschrünkt: 
Zum einen — paradoxerweise — auf die Fälle einer unmittelbaren An- 
wendbarkeit durchführungsbedürftiger völkerrechtlicher Verträge (was ei- 
nen Widerspruch in sich selbst bildet; unmittelbar anwendbare völ- 
kerrechtliche Verträge zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie 
nicht durchführungsbedürftig sind, d.h. dass sie zu ihrer Durchfüh- 
rung keines formellen Gesetzes bzw. keiner Verordnung bedürfen 1385), 
zum anderen auf die Vorgaben des im Geltungsbereich eines nicht 
unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Vertrages erlassenen 
formellen Gesetzes, wo ein solches „nötig“1386 ist, Beide Gesichts- 
punkte erschweren die Durchführung des Vólkervertrags- im Landes- 
recht und schwächen damit die Stellung des ersteren im letzteren. Die 
Praxis des Staatsgerichtshofes zur Durchführungs- und Nicht-Durch- 
führungsbedürftigkeit völkerrechtlicher Verträge, die auf einer Diffe- 
renzierung nach der Art der Anwendbarkeit beruht!387, wird in die- 
sem Umfang dadurch obsolet, dass ihr das Unterscheidungsmerkmal 
der self executing- und der nicht self executing-vôlkerrechtlichen Ver- 
tráge entzogen wird. 
Damit hebt die Verfassung vom 16. Márz 2003 die Errungen- 
schaften, die der Staatsgerichtshof im Interesse der Rechtsklarheit bis 
ihnen — allem Anschein nach — eine Neuordnung des Verháltnisses zwischen dem Vólkerver- 
trags- und dem Landesrecht in einem technischen Sinne angelegt ist. 
1383 Wenn es in Art. 92 Abs. 2 LV heisst, dass die Regierung die ,zur Durchführung der direkt 
anwendbaren Staatsvertráge erforderlichen Verordnungen (erlásst)", dann macht dieser Pas- 
sus nur unter der Annahme Sinn, dass in diesem Passus nicht die unmittelbar anwendbaren', 
sondern nur die ,unmittelbar geltenden' vólkerrechtlichen Vertráge gemeint sind. Wáre dem 
So, bedürfte es keiner Hervorhebung dieser Eigenschaft (nàmlich jener der ,unmittelbaren 
Geltung): Diese Eigenschaft besitzt das Vólkervertragsrecht aufgrund der Art und Weise sei- 
ner Ein- und Durchführung im Landesrecht ohnehin; siehe hierzu das 6. Kapitel Pkt. 4 sowie 
das 16. Kapitel Pkt. 4. Ob dieses (korrigierende) Verstàndnis zutreffend ist, kann hier jedoch 
dahingestellt bleiben; dieses Verständnis ist nur eines unter mehreren möglichen. Die Ände- 
rungsabsicht dieser Revision legt es nahe, sie bei ihrem Wortlaut zu nehmen — was in diesem 
Kapitel als Ausgangspunkt geschehen ist. 
1384 Art. 92 LV entspricht eben gerade keiner ,verbindlichen Klarstellung von bereits bestehenden 
Regelungen der Verfassung", wie es von Winkler (Stellungnahme) S. 9 erklárt worden ist, 
sondern einer Neurordnung der Voraussetzungen für eine Durchführung des Vólkervertrags- 
im Landesrecht. 
1385 Siehe hierzu das 16. Kapitel Pkte. 3 sowie 5.1 und 5.2. 
1386 Art. 92 Abs. 3LV. 
1387 Siehe hierzu das 16. Kapitel Pkt. 5.1. 
273
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.