kannt wird und wonach es in der LV weder “verborgene Kompeten-
zen“ 1305 noch eine „Kompetenzvermutung zu Gunsten eines Or-
gans“ 1306 gibt. Nochmals: Art. 92 Abs. 1 zweiter Satz LV i.d.F.d. Ver-
fassung vom 5. Oktober 1921 sieht Verordnungen nur auf der Grund-
lage formeller Gesetze vor, nicht aber solche aufgrund vólkerrechtlicher
Verträge.
Liegt ein Widerspruch zu diesem obiter dictum vor? In diesem
Kapitel wird aus den folgenden beiden Gründen davon ausgegan-
gen, dass dem nicht so ist: Zum einen muss die Frage nach dem Be-
stand ungeschriebenen Verfassungsrechts heute — d.h. seit StGH
1998/45137 — unter anderen Gesichtspunkten beurteilt werden als
noch vor einem Jahrzehnt!398, Zum anderen steht das Gewaltentei-
lungsprinzip dem (einem) vólkervertragsrechtlichen Verordnungs-
recht nicht entgegen; wird vorausgesetzt, dass die (Staats-) Aufgaben
der Gesetzgebung und der , Vollziehung 309 in der LV auf Landtag
und Regierung aufgeteilt werden, besteht kein Grund dafür, sich der
Durchführung eines vólkerrechtlichen Vertrages durch einen Erlass
von (einer oder mehreren) Verordnungen entgegenzustellen.
Dieses Ergebnis folgt aus einem Umkehrschluss, auf den auch
Schurti (wenn auch unter anderen Vorzeichen) hingewiesen hat: Steht
ein vólkerrechtlicher Vertrag in Frage, dessen Rechtsquellenstufe je-
ner eines formellen Gesetzes entspricht!?10 und dessen ,innerstaatliche
Durchführung^!?!! den Erlass einer oder mehrerer Verordnungen
bedingt, besteht in der liechtensteinischen Verfassungsordnung kein
Grund dafür, die Durchführung dieses vólkerrechtlichen Vertrages
vom Erlass eines formellen Gesetzes abhängig zu machen!??. Im
Gegenteil: „Die innerstaatliche Durchführung der völkerrechtlichen
Vertráge ist auch Vertragserfüllung und deshalb nicht nur eine inner-
1305 Batliner (Verfassungsrecht) S. 22.
1306 Batliner (Verfassungsrecht) S. 22 unter Berufung auf Dietmar Willoweit; Verfassungsinter-
pretation im Kleinstaat — Das Fürstentum Liechtenstein zwischen Monarchie und Demokratie,
in: LPS Bd. 16, Vaduz 1993, S. 191ff, S. 200ff.
1307 Siehe hierzu StGH 1998/45, Jus&News 3/1999 S. 243ff sowie LES 1/2000 S. 1ff.
1308 Siehe hierzu Kley (Kommentar) S. 257.
1309 StGH 1982/37, LES 4/1983 S. 115.
1310 Siehe hierzu Winkler (Staatsvertráge) S. 122: ,Die meisten Staatsvertráge sind den Gesetzen
im weitesten Sinn gleichzuhalten", sowie das 13. Kapitel Pkt. 4.1.2.
1311 Schurti (Verordnungsrecht) S. 302.
1312 Unglücklich insofern die Formulierung in StGH 1978/8, LES 1981 S. 7, wonach die „formellen
Staatsvertráge nur durch hóher- oder gleichrangige innerstaatliche Normen ... ergànzt ... wer-
den können“. Diese Formulierung bedeutet nichts anderes, als dass die „Ergänzung“ eines
völkerrechtlichen Vertrages, d.h. dessen Durchführung, nur durch ein formelles Gesetz erfol-
gen kann.
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