Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

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Die ‚Rechtskraft‘ einer Rechtsvorschrift als ihr Idealzustand 
Werden die beiden Wesensmerkmale ‚Verbindlichkeit‘ und ‚Wirkun- 
gen für den Einzelnen' zusammengezogen, ergibt sich — im Falle ih- 
res (gleichzeitigen) Vorhandenseins - der Idealzustand einer Rechts- 
vorschrift: Der Grundtatbestand der Kundmachung an sich begrün- 
det Verbindlichkeit i.S.v. Art. 14 KmG, der Sondertatbestand der ver- 
fassungs- und gesetzmüssigen Kundmachung begründet Wirkungen für 
den Einzelnen iS.v. Art. 15 KmG!!!9, Erst wenn beide Tatbestände 
erfüllt sind, gilt dies auch für die Voraussetzungen der Rechtsdurch- 
setzung: Rechtsvorschriften können - dem Einzelnen gegenüber - nur 
dann durchgesetzt (vollzogen) werden, wenn sie sowohl Art. 14 
KmG als auch Art. 15 KmG entsprechen. 
‚Rechtskraft‘ im Sinne von , Wirksamkeit"!!!! besteht — unab- 
hängig von der Natur und Herkunft der betreffenden Rechtsvor- 
schrift — unter diesen Vorzeichen erst und nur dann, wenn die beiden 
Tatbestánde der Art. 14 und 15 KmG verwirklicht sind. Ist dies der 
Fall, wird diese ‚Rechtskraft‘ durch nichts beeinträchtigt: Rechtsvor- 
schriften, die Rechtskraft in diesem Sinne besitzen, geniessen unter 
dem Schutz der LV so lange Autoritát, als sie durch die Regie- 
rung!!?, durch den Landtag!!!? oder durch den Staatsgerichts- 
hof!!! nicht aufgehoben worden sind. 
In der Phánomenologie der Rechtskraft von Rechtsvorschrif- 
ten, wie sie dem KmG zugrundeliegt, bildet dieser Idealzustand die 
Theorie. In der Praxis haben sich Fálle ergeben, in denen der Begriff 
der ‚Rechtskraft‘ je nach der Art und Weise der Kundmachung eine un- 
terschiedliche Bedeutung im Sinne einer unterschiedlichen Wirk- 
samkeitsform erfahren hat. 
1110 Im gleichen Sinne wohl Thürer (Völkerrechtsordnung) S. 102 mit der Erklärung dass „für die 
Anwendbarkeit übernommenen Rechts in Liechtenstein erforderlich (ist), dass dieses nach 
Massgabe der einschlägigen Verfassungs- und Gesetzesvorschriften kundgemacht wurde“ 
(Kursivstellung durch den Verfasser). In dieser Erklärung wird wenn auch nicht explizit, so 
doch implizit zwischen der Verbindlichkeit (Art. 14 KmG) und der Wirkungen für den Einzel- 
nen (Art. 15 KmG; ‚Anwendbarkeit‘ im Sinne Thürers) unterschieden. Nahezu gleichlautend 
heisst es bei Thürer (Völkerrechtsordnung) S. 111, dass „nach geltendem Recht ... auch un- 
mittelbar anwendbare völkerrechtliche Regelungen den Einzelnen erst (binden), nachdem sie 
ordnungsgemäss publiziert worden sind“ (Kursivstellung durch den Verfasser). 
1111 Gliederungstitel der Art. 14 und 15 KmG. 
1112 im Falle von Verordnungen, aber auch im Falle einer Kündigung völkerrechtlicher Verträge, 
auf deren Grundlage Rechtsvorschriften in Liechtenstein im Sinne von Art. 3 Bst. c KmG „an- 
wendbar sind“. 
1113im Falle von Verfassungs- oder von formellen Gesetzen. 
1114 im Rahmen der Normenkontrolle; siehe hierzu das 19. Kapitel Pkt. 3.4. 
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