Volltext: Gutachten über den Zollanschluss Liechtensteins an die Schweiz

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erlebt. Der geradezu krankhaft gesteigerten An 
spannung aller wirtschaftlichen Kräfte folgte im 
Zusammenhang mit dem Einsetzen des inter 
nationalen Preisabbaues, der zunehmenden Va 
lutenverwirrung und der unabgeklärten inter 
nationalen Lage eine Erschlaffung des 
wirtschaftlichen Betriebes, wie man sie ihresglei 
chen noch nicht gesehen hat. 
So gut wie Liechtenstein ist die Schweiz auf 
den Export angewiesen. Im Gegensatz zum Für 
stentum ist dieser Export aber ein vorwiegend 
industrieller, wenn auch das Wohl und Wehe der 
schweizerischen Landwirtschaft ebenfalls in hohem 
Maße, direkt und indirekt, von den Exportmög 
lichkeiten des Landes abhängig ist. Gemessen 
an ihren natürlichen Produktionskrästen litt 
die Schweiz seit langem an einer Uebervölke- 
rung, welcher man nur durch die Beschaffung 
von industrieller Arbeitsgelegenheit ausweichen 
konnte. Diese letztere ist im Laufe der letzten 
Jahrzehnte in so hohem Maße gewachsen, daß 
sogar Zehntausende von Arbeitskräften aus dem 
Auslande bezogen werden mußten, um den Ar 
beitsmarkt ausreichend zu speisen. Den Höhe 
punkt der industriellen Produktivität erreichte 
die Schweiz in den Jahren 1912/13 wenn man 
von den durch den Krieg geschaffenen besonderen 
Verhältnissen absieht. Trotz des großen schwei 
zerischen Exportes zeigte die Handelsbilanz der 
Schweiz regelmäßig bedeutende Passivüberschüsse. 
In der Zahlungsbilanz der Schweiz wurden 
diese ausgeglichen durch die Revenuen aus dem 
schweizerischen Kapitalexport und aus den Er 
trägnissen der Fremdenindustrie. Im Verlaufe 
des Krieges und der Nachkriegskrise erlitt nun 
die schweizerische Zahlungsbilanz schwere Ein 
bußen durch das Stocken der Fremdenindustrie, 
den Rückfluß und namentlich durch den Verlust 
schweizerischer, im Auslande angelegter Kapi 
talien und endlich und vor allem durch die Zu 
rückbildung des schweizerischen Exportes. Da der 
schweizerische Export zu einem sehr großen Teile 
auf der Ausfuhr von Luxusprodukten beruht, ist 
infolge der Verarmung der Welt die Schweiz 
besonders hart getroffen. Außerdem zeigt der 
amerikanische Kontinent starke schutzzöllnerische 
Tendenzen, die übrigens heute im allgemeinen 
im Zusammenhang mit der Abwehr der Luxus 
einfuhr und der Misere der Staatsfinanzen als 
internationale Richtung angesprochen werden 
müssen. So hat denn auch die Schweiz unter 
den Kriegs- und Nachkriegsverhältnissen sehr 
stark gelitten. In einem Punkte unterscheidet 
sich jedoch die Situation der Schweiz von der 
größten Zahl aller Länder: das Geld- und Kre 
ditwesen ist absolut intakt geblieben. Immerhin 
sind die Folgen der Krise ernst genug. Im 
Höhepunkt der Krise waren mehr als 20 Prozent 
der Arbeiterschaft, im Durchschnitt in einzelnen 
Industrien bis zu 60 Prozent derselben, ohne 
Beschäftigung. Nur eine innerlich gesunde 
Volkswirtschaft konnte eine solche Belastungs 
probe aushalten. Heute sind bereits wieder deut 
liche Anzeichen einer Erholung da. Sie hat 
zwar noch nicht alle Industrien erfaßt. Ein Teil 
der Textilindustrie, zumal jener des ostschweize 
rischen Wirtschastskreises, leidet noch immer 
unter der Krise und es ist anzunehmen, daß ge 
wisse Industriezweige mit einer dauernden 
Stagnation werden rechnen müssen. Dagegen 
haben andere Industrien und manche Gewerbe 
einen Aufschwung genommen, der sogar die Vor 
kriegszeiten übertrifft: wieder andere sind auf 
dem Wege einer langsamen, aber immerhin 
wahrnehmbaren Befferung. Was die Landwirt 
schaft anbelangt, so steht sie — die während des 
Krieges unter Aufwendung aller Kräfte Vorbild 
liches leistete und auch beste Zeiten hatte — 
gefestigter da als je. 
Wir glaubten auf die durch Krieg und Krise 
geschaffene Situation eingehen zu müssen, da 
aus deren Schilderung gleichzeitig auch die all 
gemeine wirtschaftliche Struktur der Schweiz in 
großen Zügen ersichtlich ist. 
d) Wir kommen nun auf den sehr wichtigen 
Punkt zu sprechen, ob eine Gemeinsamkeit der 
Interessen für den liechtensteinischen Export 
bei einem Anschluß an die Schweiz als Voraus 
setzung dauernder Wirtschaftsverbindung festzu 
stellen ist. Im Vordergrund des Interesses steht 
vor allem dieAusfuhrdesliechtenstei- 
nischen Zucht- und Schlachtviehs. 
Die Schweiz hat einen Exportüberschuß an 
Zuchtvieh und ein Manko an Fleischproduktion 
zu verzeichnen. Gemessen an vorkriegszeitlichem 
Verbrauch dürste der Fehlbetrag der schweizeri 
schen Produktion etwa 14 des Konsums aus 
machen. Es liegt also, was die Möglichkeit des 
Absatzes an Schlachtvieh anbelangt, ein gewisses 
Interesse der Schweiz am Zollanschluß mit Liech 
tenstein vor, wenn auch die Quote, welche das 
Fürstentum an Schlachtvieh zu liefern imstande 
ist, nur eine ganz geringe ist. Die beiden In 
teressen fallen also in diesem Punkte zusammen. 
Was den Zuchtviehexport anbelangt, so kann die 
hohe Qualität des liechtensteinischen Viehs als 
eine durchaus glückliche Ergänzung der schwei 
zerischen Zuchtviehrassen betrachtet werden. Ir
	        

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