Volltext: Stenographischer Verhandlungs-Bericht aus dem Kriminalprozess gegen Franz Thöny, Niko Beck, Anton Walser und Rudolf Carbone

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einziges Mal vor Abschluß der Untersuchung einvernommen 
worden ist, das Heißt, soweit er in Frage kam, furchtbar ive- 
nig die Tätigkeit des Untersuchungsrichters in Anspruch 
nahm. Ich möchte bitten, daß ihm diese Haft voll angerechnet 
wird, auch wenn er einen Teil davon im Ausland überstan- 
den hat. Denn der-Sinn jener Bestinimung ist, daß solche 
Haft nur dann nicht eingerechnet wird, wenn sie durch Flucht 
ins Ausland selbst verschuldet wurde, was hier nicht zutrifft. 
Ein Milderungsgrund besteht auch darin, daß der Beklagte 
„mit freiwilliger Enthaltung" die Zufügung größeren Scha 
dens vermieden hat. In dieser Richtung hat Carbone in der 
mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß er beim 
Vermittlungsgeschäft in der Koburgsache den Provisionsschein 
von 100 000 Mark ohne weiteres zurückgegeben hat, obwohl 
zivilrechtlich diese Provision mit Geschäftsabschluß für ihn ver 
dient gewesen wäre. Nun meine Herren, ich Habe in letzter 
Stunde noch eine Begutachtung meines Klienten verlangt, 
es geschah auf Grund von Mitteilungen, die ich in letzter 
Stunde erhielt, und das Gutachten ist -verlesen worden. Ich 
spreche nicht mehr vom Verhältnis meines Klienten zu Beck 
ich möchte jede Enipfindlichkeit und jede Nervosität vermeiden. 
Wollen Sie nachlesen, was Beck in dieser Richtung getan und 
was bereits durch die Fragestellung eines Verteidigers abge 
klärt wurde. Bezüglich meines Klienten bitte ich auf Pag. 12 
Gutachten nachzulesen, wo die Aerzte als „zweifellos" er- 
klärten, daß, nachdem sie die verheerenden Wirkungen des 
Morphinismus auf Denkungsart und Handlungsweise, auf 
die Zurechnungsfähigkeit und wie die Dinge alle heißen, fest 
gestellt haben, daß sie erklärten, daß bei Rodolfo Carbone 
ähnliche Erscheinungen des Morphinismus vorhanden waren, 
und zwar schon zur Zeit seiner „strafbaren Begangenschaften". 
Das erscheint den Sachverständigen „zweifellos". Meine 
Herren, ich gehe daher nicht zu weit, wenn ich sage, daß nach 
meiner Laienauffassung in dieser Richtung jedenfalls an die 
unterste Grenze der. Zurechnungsfähigkeit, um mich auszu 
drücken, zu gehen ist. Das österreichische Recht kennt, soviel 
ich gesehen habe, das Wort „verminderte Zurechnungsfähig 
keit" nicht, jedoch den Begriff und die Kommentare setzen weit 
läufig auseinander, daß es auch nach österreichischer Auffas 
sung verschiedene Grade.der Zurechnungsfähigkeit gibt. Und 
in dieser Hinsicht möchte ich bitten, das ärztliche Gutachten 
demgemäß bewerten und Ihre Schlüsse ziehen zu wollen. 
Jetzt kommt der Schluß. 
Und nun, meine Herren, 1va§ bleibt von allem zusammen 
übrig? Es mag' ja, damit komme ich zum Schlüsse, fast para 
dox klingen, wir führen hier einen Strafprozeß und ich habe 
soviel von zivilrechtlichen Bestinmuingen und patentrechtlichen 
Ausführungen bringen müssen. Warum, weil diese Momente 
im Gegensatz zu den andern Angeklagten bei meinem Klien 
ten eine ganz entscheidende Rolle spielen. Durch Mißachtung 
dieser zivil- und patentrechtlichen Bestimmungen fügt man 
meinem Klienten Carbone ein großes, bleibendes Unrecht zu. 
Ich habe daher die dringende Bitte an Sie zu richten, prüfen 
Sie dieses Material in seiner Gesamtheit und ich bin sicher, 
daß dann auch von höchster Stelle aus ein ^twas freundliche 
rer Blick meinem Klienten geschenkt werden wird. Man wird 
einsehen, daß Carbone, man mag ihn anschauen wie man will, 
entsprechend diesem Aktenmaterial korrekt vorgegangen. ist. 
Ich möchte Sie bitten, wohlwollend Sinn und Zweck dessen 
zu prüfen, was in den Verträgen und Zessionen, in den Be 
gleitschreiben und Vollmachten von Mutter an Sohn nieder 
gelegt ist und wollen Sie dabei Art. 18 des schweizerischen 
Obligationenrqchtes nicht ganz vergessen. Wenn Redaktions 
mängel da sind, sie sollen keinem der Angeklagten zur Last 
fallen. Bedenken Sie, daß diese drei oder -vier nicht Juristen 
sind, und gehen Sie daher nicht mit Argusaugen an die Prü 
fung dieser Dinge, sondern mit demjenigen Blick, wobei man 
sich sagt, ich versuche die Leute zu verstehen und zu erfassen, 
was sie mit diesen Schriftstücken gewollt haben. Dann glaube 
ich, kommen Sie sicher zur Feststellung, daß patentrechtlich 
uni» zivilrechtlich die Angelegenheit'betreffend Carbone in 
Ordnung ist und daß man ihn einen Betrüger nicht 
nennen darf. Nennen Sie ihn meinetwegen einen Bruder 
Leichtsinn oder wie Sie wollen, nennen sie chn einen Ver 
schwender. einen sinnlosen Verschwender, wie es auch stimmt, 
aber, meine Herren, das sind doch keine Betrüger, und erin 
nern Sie sich an dasjenige, was mehrere Personen sagen und 
auch in den Akten steht, er habe Geld verschwendet, das ist 
begreiflich, wenn man diese Erziehung kennt, aber er ist „ein 
guter, aufrichtiger Kerl". Und aufrichtige Leute sind doch keine 
Betrüger. Meine Herren, vom sichern Port läßt sich's gemäch 
lich raten heute haben wir ein Bild finanzieller Zer 
störung vor uns, wie es meine Herren Kollegen schon zuge 
geben und geschildert haben. Ich bitte Sie, tragen Sie aber 
nicht diese heutige Auffassung zur Beurteilung in jene Zeiten 
hinein, sondern denken Sie sich zurück und hinein in die 
Lage jedes einzelnen der Angeklagten, loie sie damals war, 
dann werden Sie unendlich vieles besser verstehen und sich 
bei den vielen Schwierigkeiten, die ja immer wieder.eintra 
ten, sagen müssen, ja, nach damaliger Auffassung und mit 
den Augen eines Angeklagten gesehen, läßt sich in Gottes 
Namen vieles zu deren Gunsten auslegen. O, wie glücklich 
wäre ich, könnte ich schließen mit einem Appell an Land und 
Leute von Liechtenstein, wie es so wunderhübsch von meinen 
Herren Vorrednern geschehen ist, und wie glücklich wäre ich, 
könnte ich wie Sie Schriftsteller wie einen I. C. Heer in die 
ser glänzenden Weise zitieren. Hier sitzen Leute, die mit dem 
Land verbunden sind und mit dem Volk und deren Vertei 
diger hoffen, daß ihnen baldige Rückkehr zu diesem Volke be 
vorstehe. Sie haben Frau und Kind, die Kummer und Sor 
gen mit ihnen teilen und die Hälfte des Grams für sich- zu 
tragen begehren. Aber mein Klient, wie ein Entwurzelter 
steht er da, deraciné, wie der Franzose sagt.'Und statt eineß 
I. C. Heer müßte ich vielmehr jene russischen Schriftsteller 
zitieren, die mit so unnachahmlicher Plastik und Wucht da§ 
Schicksal eines verpfuschten Menschenlebens, das Ringen einer 
verzweifelten Seele zu zeichnen verstehen. Perlassen von 
allen Freunden, die den Luxus einst rnit ihm geteilt, steht 
er da, in der Not gehen hundert Freunde aus ein Lot. Aber 
das alles läßt sich rroch ertragen, denn Freunde zu verlieren, 
ist nicht das Schlimmste. Aber wenn das Menfihenantlitz 
fehlt, das sonst den süßen Namen „Mutter" trägt, dann, 
möchte ich sagen, stockt nachgerade auch einem Verteidiger das 
Blut in seinen Adern. Anderthalb Jahre ist Carbone in Haft 
ohne jeden Besuch und ohne jedes Trostwort von Seite der 
jenigen, die jeder sonst mit Freuden „Mutter" nennen darf. 
Sie aber hat ihr .Kind nicht nur vergessen, ihr Kind,-das sie 
einst unter dem Herzen getragen, nein, sie bedroht es sogar 
und erscheint mit ihrem Anwalt auf der Bildfläche, um gegen 
dasselbe zu zeugen und dabei Dinge zu deponieren,-die nach 
meiner Auffassung mit den Akten in grellstem Widerspruche 
sind, und kurz vor der Verhandlung schreibt sie einzig und 
allein ihrem Kinde ein Brieflein vom 13. November, den ich 
hier Ihnen zeige, ohne Anrede, wünsche Dir für die nächsten
	        

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