Helmut Konrad
Geschichte hiess es bezüglich der Geschichte Liechtensteins ganz allge-
mein: «Aus der Geschichte Liechtensteins kommen die wichtigsten
Begebenheiten zur Behandlung»!* — nicht mehr und nicht weniger.
Der geringe Stellenwert, welcher der liechtensteinischen Geschich-
te im Lehrplan von 1874 beigemessen wurde, lässt sich allenfalls damit
erklären, dass das seit 1806 formell souveräne Land erst wenige Jahre
vorher durch die Auflösung des Deutschen Bundes (1866) gänzlich aus
Deutschland herausgelöst worden war und erst damit die volle, nicht
mehr durch Bundesstrukturen begrenzte Souveränität erlangt hatte. Das
Interesse an der eigenen Geschichte und vielleicht auch das Bewusstsein
der Eigenstaatlichkeit waren wohl in weiten Kreisen noch nicht sehr
ausgeprägt, zumal man sich auch sprachlich und kulturell kaum von sei-
nen Nachbarn unterschied. Das schon 1847 publizierte, umfassende
Geschichtsbuch von Peter Kaiser,'* das dem hätte entgegenwirken kön-
nen, war zum Gebrauch an den Schulen nicht zugelassen, weil es der
Obrigkeit als zu liberal und zu herrschaftskritisch galt.'” Die 1876, also
zwei Jahre nach dem Lehrplan-Erlass erschienene «Landeskunde des
Fürstenthums Liechtenstein zum Gebrauch der liechtensteinischen
Elementarschulen» von David Rheinberger enthielt zwar eine breit an-
gelegte Beschreibung des Landes zur damaligen Zeit, inhaltliche Schwer-
punkte bildeten aber vor allem geografische Themen sowie Beschrei-
bungen der Gemeinden, Ortschaften und Pfarreien. Der landesge-
schichtliche Anteil des Werkes war gering.!°
Didaktische Anweisungen im Lehrplan zeigen, dass in den Rea-
lienfächern vor allem das Auswendiglernen von grosser Bedeutung war.
So heisst es, dass bei den «Hauptbegebenheiten die Jahreszahlen mog-
lichst zu fixieren» seien. Ausführungen beziehungsweise Erklärungen
der Lehrpersonen standen im Vordergrund, «verbunden mit wiederhol-
13 Siehe Verordnung des Landesschulrates vom 20. Oktober 1874 betreffend den Lehr-
plan für die Elementarschulen des Fürstentums Liechtenstein, $ 19.
14 Kaiser, Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein.
15 Die Verbreitung des Buches war im Dezember 1847 untersagt, aber bereits im
Januar 1848 wieder zugelassen worden, allerdings mit dem Zusatz: «Zum öffentli-
chen Debit oder zum Gebrauch der Schulen kann aber dieses seichte Produkt nicht
gestattet werden». Es galt den Landesbehörden noch um 1900 als suspekt (siehe
dazu Brunhart, Peter Kaiser, S. 178-180, Zitat S. 178).
16 Siehe Rheinberger, Landeskunde des Fürstenthums Liechtenstein.
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