Paul Vogt
was im Juli 1938 zur De-facto-Anerkennung Liechtensteins durch die
Tschechoslowakei führte.”*
Im Münchner Abkommen vom 30. September 1938 wurde das Su-
detengebiet Deutschland zugesprochen, im März 1939 wurde die «Rest-
Tschechei» durch deutsche Truppen annektiert.
Die 1945 wiederhergestellte tschechoslowakische Republik nahm
keine diplomatischen Beziehungen zu Liechtenstein auf, vielmehr wur-
den aufgrund der BeneS-Dekrete alle liechtensteinischen Staatsangehöri-
gen in der Republik als «Personen deutscher Nationalität» behandelt
und ihre Vermögen entschädigungslos enteignet — der Hauptgeschädigte
war das Fürstenhaus. Liechtenstein erachtet die entschädigungslose
Konfiskation liechtensteinischer Vermögen bis heute als Verstoss gegen
das Völkerrecht und versuchte wiederholt vor verschiedenen Gerichten
dagegen vorzugehen — im Ergebnis jedoch vergebens. Für internationa-
les Aufsehen sorgte insbesondere der «Bilderstreit», bei dem Liechten-
stein von 1991 bis 2005 versuchte, ein 1945 konfisziertes Bild,” das in
Köln als Leihgabe ausgestellt war, wieder in den Besitz des Fürsten zu
bringen.”® Eine Klage vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht
(1998) war ebenso erfolglos wie eine Individualbeschwerde beim Euro-
paischen Gerichtshof fur Menschenrechte (2001) und eine Klage vor
dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (2005).
Im Gefolge der gemeinsamen Mitgliedschaft in europäischen Insti-
tutionen — insbesondere im Europäischen Wirtschaftsraum — brauchte es
eine gegenseitige Anerkennung und die Aufnahme diplomatischer Be-
ziehungen. Liechtenstein wollte die rückwirkende Anerkennung der
liechtensteinischen Souveränität seit 1806, das heisst seit seiner Aufnahme
als souveräner Staat in den Rheinbund. Die Tschechische Republik war
jedoch nur bereit, diese ab 1993, also dem Jahr ihrer Gründung, auszu-
sprechen. Eine Lösung wurde durch eine pragmatischere Haltung Liech-
tensteins beziehungsweise des Fürstenhauses ermöglicht:”” Dieses war
74 Die De-facto-Anerkennung ergab sich daraus, dass die Tschechoslowakei anerkann-
te, dass die Schweiz die Interessen Liechtensteins vertrat. Siehe Marxer, Beziehun-
gen Liechtensteins zur Tschechoslowakei, S. 150.
75 «Szene um einen römischen Kalkofen» von Pieter van Laer.
76 Ein Überblick zu den verschiedenen Gerichtsverfahren bei Marxer, Beziehungen
Liechtensteins zur Tschechoslowakei, S. 188-190.
77 Ebenda, S. 191.
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