Volltext: Geschichte erforschen - Geschichte vermitteln

Besonderheiten des liechtensteinischen Eherechts 
Die Rezeption schweizerischen Rechts 
Der Erste Weltkrieg mit seinen politischen und wirtschaftlichen Konse- 
quenzen stellte eine gravierende Zäsur in der privatrechtlichen Rezepti- 
onsgeschichte dar. Für Liechtenstein wurde die wirtschaftliche Loslö- 
sung von Österreich zum Gebot der Selbsterhaltung. Da sich aber rasch 
herausstellte, dass eine völlig selbstständige und unabhängige Existenz 
die Möglichkeiten eines Kleinstaates übersteigen würde, tat man das 
Nächstliegende und wandte sich dem westlichen Nachbarland, der 
Schweiz, zu. 
Nach langwierigen Verhandlungen trat 1923 an die Stelle der Zoll- 
gemeinschaft mit Österreich der Zollanschluss an die Schweiz.” Der 
Abschluss des Zollvertrags hatte nicht nur die Schaffung eines einheitli- 
chen Zoll- und Wirtschaftsgebiets zur Folge, sondern war auch mit 
erheblichen Konsequenzen für die Rechtsordnung verbunden. Während 
der Dauer des Zollvertrags sollte die gesamte schweizerische Zollgesetz- 
gebung sowie die übrige Bundesgesetzgebung, «soweit der Zollan- 
schluss ihre Anwendung bedingt» (Art. 4 ZV), in Liechtenstein «auto- 
matisch» unmittelbare Geltung erlangen; das bedeutete, dass die ent- 
sprechenden Rechtsnormen in Liechtenstein in gleicher Weise zur 
Anwendung kommen sollten wie in der Schweiz.® 
Eine Folge dieser Annäherung an die Schweizer Rechtsordnung 
war das Bestreben, auch in anderen Bereichen die enge Verbindung mit 
der österreichischen Rechtsordnung zu beenden. Im Einklang mit den 
politischen Bestrebungen nach mehr Eigenständigkeit und Unabhängig- 
keit entstand die Idee, das liechtensteinische Privatrecht völlig neu zu 
kodifizieren. Als Vorbild sollte das schweizerische Zivilrecht dienen, 
da mit dem 1912 in Kraft getretenen Schweizerischen Zivilgesetzbuch 
(ZGB) und dem Obligationenrecht (OR) eine neue und moderne Zivil- 
rechtskodifikation vorlag. Das «Liechtensteinische Zivilgesetzbuch» 
sollte das ABGB ebenso ersetzen wie das 1865 rezipierte Allgemeine 
  
7 Vertrag über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische 
Zollgebiet vom 29. März 1923, LGBl. 1923 Nr. 24, in Kraft getreten am 1. Januar 
1924 (abgekürzt: ZV). Zu den Rahmenbedingungen siehe Wille, Rechtspolitischer 
Hintergrund, S. 81-109. 
8 Ebenda. Zu der daraus resultierenden Problematik siehe Reichert-Facilides, Ele- 
mente, S. 992-994. 
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