Urs Altermatt
Europas zugewiesen werden können, da diese durch einen laizistischen
und antiklerikalen Kurs gekennzeichnet war. Das katholische Milieu
umfasste ähnlich wie in ländlichen Regionen der katholischen Schweiz
mehr oder weniger die gesamte Gesellschaft des Fürstentums.!?
Wie Historiker und Politologen, insbesondere Wilfried Marxer,
anschaulich aufzeigen, wurden die beiden Parteien im modernen partei-
politischen Konkurrenzkampf als «Schwarze» beziehungsweise als kir-
chenhörige Herrenpartei und als «Rote» beziehungsweise als monar-
chiekritische Oppositionspartei diffamiert. Allerdings übernahmen
beide diese Farbzuschreibungen für sich selber, ohne damit die anderswo
üblichen ideologischen Frontstellungen zu verbinden. Die Parteien
umfassten in mancherlei Hinsicht Familienclans und waren in einzelnen
Gemeinden stark verankert. Peter Geiger fasst die Unterschiede der bei-
den Parteien wie folgt zusammen: «In Wirklichkeit waren die «Christ-
lichsoziale Volksparteir und die <Fortschrittliche Bürgerpartei> der
katholisch-konservativen Familie zuzurechnen, mit Nuancen sich unter-
scheidend, die Volkspartei niher bei Arbeiteranliegen, Volksrechten,
wirtschaftlicher Modernisierung und bei der Schweiz, die Birgerpartei
niher bei Bauern, Fiirstenautoritit, Kirche und Tradition [...]»."* Dass
beide Parteien die Monarchie unterstützten, passt zum Bild der liechten-
steinischen Politiklandschaft. 1936 schloss sich die Christlichsoziale
Volkspartei mit dem in jenen Jahren entstandenen korporativistischen
Liechtensteiner Heimatdienst zur Vaterländischen Union zusammen.!*
Mit kleinen Unterbrüchen regiert im Fürstentum seit 1938 eine
Koalition der beiden Traditionsparteien. In diesem Jahr trat die Vater-
ländische Union als Juniorpartnerin in die von der Bürgerpartei geführte
Landesregierung ein. Während drei Jahrzehnten blieb sie Minderheits-
partei. 1997 ging die FBP nach einer Wahlniederlage für eine kurze Peri-
12 Zum katholischen Milieu Liechtensteins siehe beispielsweise Wilfried Marxer/Mar-
tina Sochin, Protestantische und muslimische Zuwanderung in Liechtenstein seit
der Mitte des 19. Jahrhunderts. Integration vor dem Hintergrund religiöser Plurali-
sierung, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Bd. 102
(2008), S. 211-231, hier S. 212-215.
13 Geiger, Geschichte und Dilemma der Schweizer CVP, hier S. 144.
14 Zur liechtensteinischen Parteienlandschaft während den 1930er-Jahren siehe Geiger,
Krisenzeit, S. 301-513, oder auch Geiger, Das Jahr 1933 und die Anfänge autoritä-
rer und nationalsozialistischer Bewegung.
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