Wilfried Marxer
Vorlagen zur Abstimmung gelangten. Einerseits die Vorlage des Fürs-
tenhauses, namentlich eine von Fürst Hans-Adam II. und Erbprinz
Alois angemeldete Initiative zur Abänderung einer ganzen Reihe von
Verfassungsartikeln, andererseits eine von einem Initiativkomitee lan-
cierte Gegeninitiative. Die Vorgeschichte zu diesen Abstimmungen
reichte mehr als zehn Jahre zurück und hatte spätestens mit Vorkomm-
nissen vor der EWR-Abstimmung 1992 begonnen: Damals waren Fürst
Hans-Adam II. und die Regierung uneinig über den Abstimmungster-
min. Während die Regierung einen Abstimmungstermin nach der EWR-
Abstimmung in der Schweiz festlegen wollte, bestand der Fürst darauf,
dass Liechtenstein unabhängig von der Schweiz dem EWR beitreten
sollte und auch unabhängig von der Abstimmung in der Schweiz ent-
scheiden könne. Die Abstimmung in Liechtenstein müsse daher vor der
schweizerischen Abstimmung erfolgen. Diese Meinungsverschiedenheit
führte zu einem Konflikt zwischen dem Landesfürsten auf der einen, der
Regierung und dem Landtag auf der anderen Seite, der als «Staatskrise»
in die Annalen eingegangen ist.* Am Ende erfolgte die Abstimmung
nach dem Urnengang in der Schweiz, aber im Unterschied zur Schweiz
trat Liechtenstein dem EWR bei, zumal der Fürst und die Regierung
nach dem Schweizer EWR-Nein nochmals kräftig die Werbetrommel
für den EWR-Beitritt Liechtensteins rührten. Dieses weitere Werben für
den EWR trotz Schweizer Nein war ein Teil des Kompromisses, der am
Tag der Staatskrise vom 28. Oktober 1992 zwischen den Staatsorganen
getroffen worden war.
Die Ereignisse vor der EWR-Abstimmung hatten gezeigt, dass die
Verfassung nicht exakt genug über die Kompetenzen der verschiedenen
Staatsorgane Auskunft gab. Aber auch unabhängig von der EWR-Ab-
stimmung hatte sich der Fürst bereits früher über seines Erachtens
eigenmächtiges Vorgehen der Regierung und des Landtags kritisch ge-
äussert. Eine weitere Belastung im Verhältnis der obersten Staatsorgane
brachte die angestrebte Absetzung von Regierungschef Markus Büchel
74 Quaderer, Staatskrise; Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 110-114;
Marcinkowski/ Marxer, Offentlichkeit, S. 103-108; Marcinkowski/Marxer, Politi-
sche Kommunikation, S. 101-106; Merki, Liechtensteins Verfassung, S. 56-63. Zeit-
zeugenaussagen bei Banzer/Quaderer / Sommer, Demokratische Momente.
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