Donat Büchel
Gründe und Werturteile treten in den Hintergrund, die gelegentlichen
Auseinandersetzungen nehmen einen gereizten Ton an, alles wächst
immer mehr zu persönlichen Kämpfen und öffentlichen Zerwürfnissen
aus und der Unfriede, der noch nie Segen brachte, führt das Regiment
im Lande.»”
Schädler sollte mit seiner Einschätzung Recht behalten. Bis 1938
prägte ein «mit kaum vorstellbarer Heftigkeit geführter Parteienstreit»
die liechtensteinische Innenpolitik.”” Wie tief der teilweise mitten durch
Familien gehende Graben war, lässt sich etwa daran ersehen, dass es bald
rote und schwarze Wirtshäuser gab und auch die Dorfvereine teilweise
als einer Partei nahestehend galten.® Von 1931 bis 1935 war der liech-
tensteinische Arbeiterverband «entlang der Parteigrenzen» gespalten.®
Die Ursachen fur die unversohnliche Feindschaft lagen wohl im noch
ungeübten Umgang mit den neuen politischen Instrumenten, den
schwierigen Zeitumständen und, wie von Zeitzeuge Albert Schädler
erwähnt, in der Kleinheit des Landes.® Der Parteienstreit wurde durch
persönliche Streitigkeiten, alte Rivalitäten zwischen den Landesteilen,
Gemeinden und Familienclans — bald wurde man in eine rote oder
schwarze Familie hineingeboren — weiter angeheizt.®® Eine Verlagerung
des Wahlkampfes auf die Ebene des Personlichen fand auch deshalb
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statt, weil sich die Parteien ideologisch, im Kandidatenprofil®* und pro-
78 Schidler, Tätigkeit, S. 35.
79 Geiger, Liechtenstein im Jahre 1938, S. 6.
80 In Balzers war der Männergesangverein volkspartei- und die Harmoniemusik bür-
gerparteinah. In Triesen wurde der Kirchenchor als schwarz angesehen und der
Männergesangverein als rot (Information von Fabian Frommelt). In Eschen spaltete
sich die Harmoniemusik 1930 in eine rote und eine schwarze «Musik» (siehe 100
Jahre Blasmusik in Eschen, S. 45).
81 Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 186.
82 Im Jahr 1911 betrug die Wohnbevölkerung Liechtensteins 8693 Personen. Bis 1930
wuchs sie auf 9948 Personen (Paul Vogt, «Bevölkerung», in: HLFL, S. 92-95).
83 Siehe Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 62.
84 Die Kandidaten waren auf beiden Seiten grösstenteils Landwirte (teils haupt-, teils
nebenberuflich), meist altgediente Politiker auf Gemeinde- und Landesebene oder
solche, die am Anfang einer politischen Karriere standen. Beide Parteien waren zu-
dem bemüht, möglichst alle Gemeinden und Berufsgruppen zu berücksichtigen.
Aufseiten der Volkspartei finden sich etwas mehr Saisonniers als bei der Bürgerpar-
tei (siehe Büchel, Wahlschlachten und kleine Bürgerkriege, S. 100-105).
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