Volltext: Prozessökonomie in der liechtensteinischen Zivilprozessordnung von 1912

cc)Prozessökonomischer Vergleich Im Vergleich zwischen dem ehemaligen System der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung und demjenigen der Novellierung zeigt sich, dass bei der Beweispflicht im Falle von Variante (3), bei unerwi - derten Tatsachenbehauptungen, eine Umkehrung der gesetzlichen Fik- tion und deren Abwandlung in eine (widerlegbare) Vermutung eintrat. Während nach den Bestimmungen der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung Tatsachenbehauptungen, auf die nichts entgegnet wurde, als zugestanden gegolten hatten und so behandelt wurden, galten sie neuerdings demgegenüber als grundsätzlich widersprochen, was indes der gerichtlichen Würdigung unterlag und umgestossen werden konnte. Die umfangreichen Erwiderungen entfielen, die sich infolge von §§11 und 104 in Verbindung mit § 5 FL-AGO ergeben hatten, unter anderem weil § 11 FL-AGO einen ausdrücklichen Widerspruch («und zwar insbesondere widersprechen») erfordert hatte. Es war nach der neuen Regelung nicht mehr nötig, sicherheitshalber möglichst überall Widersprechungen anzubringen, um sich die Beweispflicht aufzu - erlegen, das heisst, die Beweismöglichkeit zu eigenen Gunsten offenzu- halten.28 Prozessökonomisch bemerkenswert war die ratio legis der neuen Vorschrift, die im Wortlaut sogar ausdrücklich aufschien: Um derartige 
überflüssige Widersprechungen künftig zu verhindern, bedurfte es keines ausdrücklichen Widerspruches mehr («ist zur Begrün- dung der Beweispflicht nicht erforderlich und daher als überflüssig zu vermeiden.»).29 Die Erwiderungen wurden daher kürzer, da keine Gefahr mehr bestand, dadurch eine spätere Beweismöglichkeit ungewollt preiszuge- ben; insofern wirkten die neuen Vorschriften prozessökonomisierend. Das Gericht konnte bei unerwiderten Tatsachenbehauptungen entschei- den, ob sie als zugestanden oder widersprochen zu gelten hatten. Inso- fern erhielt es einen – vordem infolge gesetzlicher Fiktion des Zuge- ständnisses nicht vorhandenen – Handlungsspielraum, den es zwecks Erforschung der materiellen Wahrheit ausüben konnte. Sowohl Prozess- ökonomie als auch die Erforschung der materiellen Wahrheit vermöge 302§ 
7 Beginn Justizreform 1906 bis 1908 28Siehe oben unter §  7/I./3./b)/bb)/aaa). 29Vgl. Schädler, 1901–1911, S.35.
	        

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