Volltext: Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein

scheidung nicht vertretbar und somit stossend ist, liegt Willkür vor. Das Willkürverbot hat somit die Funk tion eines Auffanggrund rech - tes: Es soll gewissermassen als letzte Ver teidigungslinie des Rechts gegenüber derart offensichtlichem Un recht dienen, dass es in einem modernen Rechtsstaat nicht zu tolerieren ist.» Der Gerichtshof hatte sich in diesem Entscheid erfreulicherweise von der alten, zu restriktiven Willkürformel gelöst, in der u.a. noch von «Denkunmöglichkeit» als Willkürfall die Rede war.21Schön wäre es ge- wesen, wenn der Staatsgerichtshof auch den vom Schweizerischen Bun - des gericht entwickelten Satz übernommen hätte, wonach ein staatlicher Akt mitunter willkürlich sei, «wenn er in stossender Weise dem Gerech - tig keits gedanken zuwiderläuft».22 Was das Verfahren zur Bestimmung jener Linie betrifft, welche die «in einem Rechtsstaat gerade noch vertretbare» von einer «qualifiziert falschen Entscheidung» trennt, führte der Gerichtshof richtigerweise aus, er habe bei jeder Willkürbeschwerde die vorgebrachten Argumente grundsätzlich nicht anders als eine vierte Rechts- oder allenfalls sogar Sach instanz genau zu prüfen – auch wenn die vom Staatsgerichtshof aus dieser Analyse zu ziehenden Folgerungen grundsätzlich andere seien als bei einer ordentlichen Gerichtsinstanz; eine von vornherein einge- schränkte Prüfung von Willkürbeschwerden würde dagegen eine Rechtsverweigerung darstellen. In einem weiteren Fall anerkannte der Staatsgerichtshof das Will - kür verbot als ungeschriebenes Grundrecht. Dieser Schritt ist bedeutsam. Denn bisher hatte der Staatsgerichtshof, ausgehend vom Prinzip der Ge - schlossenheit der Verfassung, die Anerkennung ungeschriebener Grund - rechte abgelehnt und das Willkürverbot dem Gleichheitssatz der Ver - 102Daniel 
Thürer 21Zur bisherigen Praxis vgl. Wolfgang Höfling, Die liechtensteinische Grund rechts ord - nung, Vaduz 1994, S. 220 ff.; zum Ganzen ders., Bestand und Bedeutung der Grund - rechte im Fürstentum Liechtenstein, in: LJZ 1995/4, S. 103 ff. 22Die bundesgerichtliche Formel lautete: «Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, son- dern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in kla- rem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Will kür liegt sodann nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist» (vgl. BGE 125 I 186 E. 7a S. 166; BGE 123 I E.1a S. 5; BGE 123 I S. 1 ff., 5, E. 4a – je mit weiteren Hinweisen).
	        

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