Volltext: Wahlverhalten und Wahlmotive im Fürstentum Liechtenstein

Parteien und Parteiensystem riat mit entsprechendem Klassenbewusstsein hatte sich nicht herausge­ bildet. Dazu war die Zeit seit der ersten Industrialisierung ab 1860 zu kurz.223 Die meisten Industrieangestellten waren zudem Frauen, die kein Stimmrecht hatten. Nur wenige liechtensteinische Männer arbeiteten in der Industrie und wenn, dann häufig in leitenden Positionen, sodass sie eher auf der Seite der Unternehmer standen.224 Ausserdem war die land­ wirtschaftliche Nebenerwerbstätigkeit noch stark verbreitet. Die wirt­ schaftliche Krise während des Ersten Weltkrieges, Erwerbslosigkeit und unbefriedigende soziale Absicherung führten jedoch seit 1914 zuneh­ mend zu sozialen Auseinandersetzungen.225 Erst 1920 - zwei Jahre nach der Gründung der ersten Partei in Liechtentein und 40 Jahre nach der Gründung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes - wurde ein Ar­ beiterverein gegründet.226 Die Initiative ging dabei nicht von der Indus­ triearbeiterschaft, sondern von den Bauarbeitern aus, die grossteils sai­ sonal im Ausland, vor allem in der Schweiz arbeiteten, und dort auch mit klassenkämpferischen Haltungen in Berührung gekommen waren.227 Direktdemokratische Rechte Gut ausgebaute direktdemokratische Rechte ermöglichen es der Wähler­ schaft, jederzeit aktiv in das politische Geschehen einzugreifen und die politische Richtung mitzubestimmen. Diese Tatsache fördert Konkor­ danzmechanismen in der politischen Kultur und kann auch zu Konver­ genzen in der programmatischen Orientierung der Parteien führen. Das Beispiel Schweiz zeigt jedoch, dass dieser Mechanismus nicht automa­ tisch funktioniert, da sich in der Schweiz bei allen konkordanzdemokra­ 223 Zur Wirtschaftsgeschichte im 19. Jahrhundert vgl. Ospelt 1972. 22< Quaderer 1994b: 255 f. 225 Quaderer 1994b: 256 ff. 226 Die Gründungsversammlung des «Liechtensteinischen Arbeiterverbandes» fand am 2. Februar 1920 (Maria Lichtmess) im Adlersaal in Vaduz statt. Es waren etwa 200 - 250 Männer anwesend. Erster Präsident wurde Friedrich Kaufmann aus Schaan. Die Kirche versuchte mit Unterstützung konservativer politischer Kreise vehement, zunächst den Arbeiterverband auf eine «christlich-soziale» Linie zu bringen und initiierte dann einen «Liechtensteinischen katholischen Arbeiterinnenverein», dem statutengemäss ein Geistlicher als Präses vorstehen musste. Sie scheiterte aber beim Versuch, gegen den Arbeiterverband eine christlich-soziale Gegenvereinigung aufzubauen. Vgl. Quaderer 1994b: 261 ff. 227 Quaderer 1994b: 279. 99
	        

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