Volltext: Wahlverhalten und Wahlmotive im Fürstentum Liechtenstein

Wahltheorien und Hypothesen Mit dieser Argumentation sind die Schleusen in alle Richtungen geöffnet. Man kann auf dieser Grundlage auch behaupten, dass jemand abweichend von den eigenen politischen Zielvorstellungen die gleiche Partei wie die Eltern wählt, ohne dass es sich dabei um einen irrationa­ len Entscheid handelt. Denn das Individuum kann ja den innerfamiliären Frieden höher bewertet haben als die politische Zielsetzung und insofern - getreu der Theorie des rationalen Wählens - durchaus egoistisch und rational gehandelt haben. Auf dieser Basis verflüchtigt sich der Erklä­ rungsgehalt der ökonomischen Theorie vollständig. Die Rationalität jeder Entscheidung wird zum Axiom erhoben, das nicht beweisbar ist und keines Beweises bedarf. Alle Faktoren - ökonomische oder nicht­ ökonomische, materielle, vernünftige oder emotionale, psychologische oder soziostrukturelle - können als wahlentscheidende oder -beeinflus­ sende Faktoren wieder in Betracht gezogen werden und, wie immer die Analyse auch aussieht, würde feststehen: Der Entscheid war rational. Die Verfeinerung des Ansatzes des ökonomischen Wählens mit Einbe­ zug der sozialen Realität führt daher dazu, dass das Modell des rationa­ len Wählens an Plausibilität gewinnt, jedoch eine Uberprüfung erschwert wird und das Modell Gefahr läuft, in reiner Tautologie zu enden. Da es trotzdem wenig Sinn macht, das Individuum völlig los­ gelöst vom sozialen Kontext zu betrachten, weil «eigennützige» Entscheidungen sehr komplexe rationale und emotionale Historien auf­ weisen, steht die ökonomische Wahltheorie vor dem Zwang, geeignete Operationalisierungen zu entwerfen. Dieses Problem ist auch bei ver­ schiedenen Modellen, die eine Weiterentwicklung der Theorie des öko­ nomischen Wählens darstellen, nicht befriedigend gelöst worden.350 Die Gefahr, mit einem Rationalitätsaxiom alles und nichts zu erklä­ ren, ruft nach einer Eingrenzung der in einer ökonomischen Theorie in Betracht kommenden Variablen. Mit Blick auf die anderen Wahltheorien 350 Fiorina (1981) misst der Leistung der Regierung auf wirtschaftlichem Gebiet in der Vergangenheit («retröspective voting») grosse Bedeutung bei. Dabei ist es fraglich, ob die deklarierte Wahrnehmung durch das Individuum - anstelle objektiver Feststellun­ gen - tatsächlich eine geeignete Variable ist oder nicht viel eher eine Scheinbeziehung besteht. Denn die Parteiidentifikation könnte die diesbezügliche Wahrnehmung stark beeinflussen. Ohne überzeugende empirische Untermauerung sind auch die Modelle von Himmelweit u.a. 1981 («voter as a consumer») oder Popkin 1991 («voter as an investor»), die mit unterschiedlicher Akzentsetzung davon ausgehen, dass das Wahl­ verhalten von Nutzenüberlegung - aktuellen im einen Fall, prospektiven im anderen Fall - geleitet werden. Zusammenfassende Darstellungen bei Schloeth 1998: 102 ff. 148
	        

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