Volltext: Zur heutigen Lage des liechtensteinischen Parlaments

Quer zu allen diesen Bestimmungen steht die 1939 in Art. 47 der Ver­ fassung eingefügte Bestimmung (seit 1958 als Absatz 2, LGBl. 1958/1), wonach ein Abgeordneter aus wichtigen Gründen auf Antrag der betreffenden Fraktion durch die Wählergruppen, denen der Abgeord­ nete zugehört, aus dem Parlament abberufen werden kann. Diese Be­ stimmung ist ein Fremdkörper im System der Verfassung. Vgl. hiezu die Ausführungen hinten S. 75ff. Dadurch ist die Unabhängigkeit des Abgeordneten bedroht. e Steger, lOOf. a Treffend führt der Koramiisionsbericht des Landtags 1877 zur Verfassungsände­ rung aus, welche aufgrund der Forderungen der Unterländer nach Verankerung einer festen Mandatszahl in einem eigenen Unterländer Wahlkreis notwendig geworden war: «Die Antragsteller fordern daher »eine den Interessen des Unter­ landes entsprechende Vertretung im Landtage, nämlich eine Anzahl Abgeord­ nete, welche proportioneil zu ihrer Bevölkerung steht'. ... Wollte aber hieraus der Grundsatz abgeleitet werden, als hätten dann fernerhin die Abgeordneten hauptsächlich nur das Interesse ihrer Wahlbezirke oder gar nur das ihrer Hei­ matgemeinde im Landtage zu vertreten, so wäre diese Folgerung eine ganz irrtümliche und dem Sinne der Verfassung widersprechend... Ein Vorscnlag (des Abgeordneten Kind) für direkte Wahlen wurde abgelehnt. Auch eine andere Ansicht, die Landesvertreter auf die Pfarrgemeinden zu verteilen und dieselben durch Gemeindewahlen zu bestimmen, wurde ebenso entschieden von den ober­ ländischen Mitgliedern abgelehnt und zwar eingedenk des Grundsatzes, dass die tüchtigsten und fähigsten Männer als Repräsentanten des Landes — und nicht als Gemeindevertreter — in die Wahl kommen sollen, ohne Rücksicht, in welcher Gemeinde sie gefunden werden.» Veröffentlicht in Jb 1903, 35ff. Die Ausführungen des Kommissionsberichtes von 1877 sind ganz der grossen parla­ mentarischen Tradition verpflichtet: «Every member, although cnoseo by one district, when elected and returned, serves for the whole realm.», William Blackstone, Commentaries of the Laws of England, 1765, Bd. I; oder etwa im Sinne der französischen Verfassung vom 3. 9. 1791: «Les repr^sentants nomm£s dans les departements ne seront pas repr£sentants d'un d£partement particulier, mais de la nation enti&re, et Ü ne pourra leur etre donn£ aucun raandat.», Titre III, Ch. 1, Sect., 3 Art. 7). Entsprechend auch Thronrede vom 5. 4. 1955 in bezug auf Unabhängigkeit des Abgeordneten von den Parteien, Dokumente 1938—78, 220f.: «In vermehrtem Masse gelten natürlich die Bürgerspflichten gegenüber dem Staat für den Abge­ ordneten, denn er muss im Auftrag des Volkes das Staatsleben führen und über­ wachen und erscheint neben dem Staatsoberhaupt und Regierungschef als Re­ präsentant des Landes und Volkes im In- und Auslande. Der Abgeordnete soll seine Wahl als Auftrag betrachten, sich ständig und intensiv mit den Geschicken des Volkes und Staates zu befassen und zwar unter Hintansetzung persönlicher Gruppen- oder Parteiinteressen. Einzelinteressen dürfen nie zum Schaden der Allgemeinheit durchgesetzt werden. Der Abgeordnete möge sich bewusst sein, Ha« er nicht als Vertreter einer Partei, sondern des ganzen Landes und Volkes gewählt wird. Die Partei soll für den Abgeordneten eine Hilfe sein für seine Tätigkeit im Dienste der Allgemeinheit, ein Sprachrohr durch ihre Parteiver­ sammlungen und Presse, wenn er ausserhalb des Landtages sein Wort an die Allgemeinheit richtet, und ein Beratungsorgan für ihn, wenn er wichtige Fragen des öffentlichen Lebens bearbeitet. Niemals soll die Partei sich absolute Auto­ rität anmassen gegenüber dem Abgeordneten und ihn zwingen, gegen seine bes­ sere Oberzeugung im Landtag zu sprechen und zu handeln. Nicht ohne tieferen Grund betont schon und verpflichtet der Eid den Abgeordneten im Landtage 45
	        

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