Volltext: Zur heutigen Lage des liechtensteinischen Parlaments

Eine solche ausgeklügelte und ausgewogene Ordnung der Teilung der Macht und der Rollendifferenzierung bietet aber nicht nur Schutz, sondern 
ermöglicht auch eine optimale Beteiligung, Rekrutierung und Integration aller Kräfte in allen Bereichen und auf allen Ebenen im Staat.818 Dies ist für den 
Kleinstaat bei seinem «Mangel an Stoff und Kraft» (Karl Schädler) von 
elementarer Bedeutung. Bei solchem Zu­ sammenwirken der vielfältigen Kräfte ist der Kleinstaat zwar nicht mächtig, aber nicht ohne Stärke nach innen und aussen. Die Tatsache, dass jeder seine Rolle im Staat hat, erzeugt das Gefühl und den Be­ stand von Freiheit wie Zu- und Zusammengehörigkeit, und davon geht Kraft aus.819 Aufgabenteilung und Rollendifferenzierung im Be­ reich des Staatsaufbaus, aber auch im Bereich der politischen Kräfte allgemein bedeutet Absage an jeden Gewaltenmonismus, soll aber auch eine Spaltung oder Abspaltung verhindern. Der Kleinstaat kann auf wesentliche Kräfte nicht verzichten. Hierbei fördern häufig Machtelemente, die sich allein oben aufschwingen und herrschen wol- 119 Was Stern (Bd. I, 678) über den gewaltenteiligen Rechtsstaat sagt, darf im Zusammenhang mit der Rollendifferenzierung in ganz allgemeiner Weise als gültig betrachtet werden: «Rechtsstaat zu sein, bedeutet nicht, ein schwacher oder gar ein ohnmächtiger Staat zu sein, weil seine Organe allenthalben ge­ hemmt und begrenzt wurden. Das genaue Gegenteil ist richtig. Der Rechtsstaat ist ,nicht ein System gegen den Staat', sondern ein System für den Staat, um ihn zu hindern, Leviatban eines einzelnen oder einer Gruppe zu werden. Der Rechtsstaat minimalisiert nicht die Staatsgewalt, sondern will sie optimieren. Er ordnet und formt die staatliche Macht, damit Staat und Bürger ihre Zu­ ständigkeiten und Verantwortlichkeiten kennen. Er verhindert Anarchie und Regellosigkeit der widerstreitenden Kräfte. Auf diese Weise bändigt er auch gesellschaftliche Zügellosigkeit und wird zum Hort ebenso der freien und glei­ chen Staatsbürger wie des Staates selbst. Indessen gehört es zu den mannig­ fachen Verständnislosigkeiten der Gegenwart, dass gerade diese Funktion des Rechtsstaats nicht selten verkannt wird. Gesetz und Recht werden mancherorts und mancherleits wenn nicht für absterbende, so doch jedenfalls für lästige Kategorien gehalten.» m Wenn der Kleinstaat auf alle Kräfte bauen kann, ist er nicht schwach. Nach H. Lokay (La Principautl de Liechtenstein, Strassburg 1935, 9f.) sind es das Bewusstsein der Solidarität und der Geist der Unabhängigkeit («la conscience de la solidaritl et l'esprit d'indlpendance»), die das liechtensteinische Gemein­ wesen von Anfang an ausgezeichnet haben — so z. B. als die Landammänner 1684 nach einmütigen Beschlüssen der Landschaft direkt an den Kaiser gelang­ ten und die Absetzung ihres Landesherrn forderten und erreichten; verschiedene schwierige Zeiten erinnern an die Ausdauer und die Widerstandskraft des liech­ tensteinischen Volkes («son endurance, sa force de resistance»). Es seien auch der Eid des Volkes von 1939 auf der Schlosswiese auf die «Erhaltung der Sicherheit» Liechtensteins und der Zusammenhalt im Zweiten Weltkrieg nicht vergessen. — Zu weiteren bedeutsamen Aspekten kleinstaatlichen Verhaltens im Aussenverhältnis in bezug auf die freilich viel grösseren Kleinstaaten Däne­ mark, Island, Norwegen, Schweiz etc. vgl. Hans Vogel, Ein theoretischer Ver­ such zur Analyse kleinstaatlichen Verhaltens im internationalen System, in: Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft, 1979, 71ff. 177
	        

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