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In Unterrätien pflanzte sich nämlich — mit Aus-
nahme von Sax und Pfävers — die Grafengewalt durch
die Neumontforter fort; es gab sich also von selbst, dass
dieselbe, durch den Zerfall des Reiches, sich in eine Lan-
desherrschaft verdichtete und, weiter, dass durch letz-
tere die Leibeigenschaft allmälig mit der Unterthanenschaft
identifizirt‘ und‘ so verallgemeinert wurde. Und dass die,
viele Jahrhunderte in der nämlichen Familie vererbte Frei-
herrschaft Sax’diesem Zuge ebenfalls folgte, versteht sich
von selbst, wogegen das schon weniger straffe Klosterregi-
ment von Pfävers bereits der persönlichen Freiheit oder
Halbfreiheit (Kerzner, Sempermannen , Freie) mehr Spiel-
raum liess.
Anders in Oberrätien!
Hier war die Grafengewalt schon früh erloschen. Die
Gotteshäuser Cur und Disentis umfassten mit ihren Herr-
schaften den grössten Theil des Landes. Aber die bischöfli-
chen Herrschaften waren zersplittert, verschieden an Rechten
und Sprache, theilweise verliehen, so dass sich in denselben
eine zusammenfassende Landesherrschaft nicht begründen
liess. Ueberdies waren die Bischöfe fast ununterbrochen in
Kämpfe, sei es mit Como und Mailand, sei es mit den Grafen
von Tirol und den Herzogen von Oesterreich, sei es mit ihren
Vögten zu Matsch oder mit oberrätischen Dynasten (insbe-
sondere den Herren von Vatz und von Räzüns) verwickelt,
hatten also nicht wol Zeit, ihre Landesherrschaft auszubil-
den, waren vielmehr schon im XIV. Jahrhundert genöthigt,
sich zu ihrem Schutze mit den eigenen Unterthanen zu ver-
binden. Noch weniger war das Kloster Disentis, weil arm,
und zweihundert Jahre lang (als Brixen gehörig) der Selb-
ständigkeit entbehrend, überdies von den eigenen Vögten
bedrängt, in der Lage, auf die zahlreiche Bevölkerung
seines Herrschaftsgebietes zu drücken. — Bei beiden Stiften
sind endlich der vergleichsweise mildere kirchliche Geist,