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men. Die Herzen pulsirten gewiß noch in heißer Leiden-
schaft, die Strenge der Alten und die Ausgelassenheit der
Jungen kamen oft in Streit, aber in der häuslichen Zucht
und im kühlen, steifen Tone der Gesellschaft erloschen die
Flammen. Eine große Verschiedenheit war zwischen dem
Adel in Innerösterreih und jenem in Böhmen und Mähren.
In Steiermark, Kärnten und Krain hatte sich der Landadel
mit kleinen Gütern erhalten. Zn den slavischen Ländern
war nach der großen Revolution unter Ferdinand „1. der
Grundbesitz in großen Latifundien an wenige, zumeist deutsche
Familien gekommen, welche sich nach der Sitte der Zeit
französisirten und die französische Cultur, wie früher die ita-
lienisch<e, vermittelten. Man darf nur die Schlösser in
Steiermark mit jenen in Böhmen und Mähren vergleichen ;
die ersteren sind fast alle burg- und renaissanceartig, die
letzteren im Rococostil gebaut. Wenn man durch die Säle
dieser Schlösser gebt, tritt einem überall das vorige Jahr-
hundert mit seiner steifen Grandezza , mit seiner gepuderten
falsh<hen Antike und hausbackenen Gelehrsamkeit entgegen.
Aus diesen Schlössern ist eine Reihe von Männern hervor-
gegangen, ausSgezeichnet durch ihre praktische Tüchtigkeit in
Krieg und Frieden, aber in der Theilnahme für die geistige
Bildung der Zeit wurden sie von ihren Frauen überragt.
Leopoldine Kaunitz schrieb einst an ihre Schwester"): „Die
Erziehung, die wir unseren Töchtern geben, ist gut, die un-
serer Söhne schlecht. Man lehrt sie größtentheils unnüße
Dinge; was am nothwendigsten ist und das Glück des Lebens
bildet, nämlich sich selbst beschäftigen, daran denkt man nicht.
1) Neapel, 3, Jänner 1769.