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habe dieses Gefühl für Sie, man ist nicht verliebt in seine
Frau, aber ich habe Interesse für alles, was auf Sie Bezug
hat.“ Eleonore antwortete : sie sei sehr geschmeichelt von seiner
Achtung und seinem Bertrauen, aber sie verstehe die Meta-
physik seiner Gefühle nicht *). Nun, Eleonore verstand diese
Gefühle nur zu wohl, aber sie wehrte sich gegen den Ge-
danken, daß der Kaiser sie liebe. Sie war sich bewußt, daß
sie diese Neigung nicht theilen könne und wolle, sie fand sich
geschmeichelt, aber sie ersc<hra> davor. Sie blieb in ihrem
Benehmen immer gleich ruhig, höflich , vorsichtig , ja unter-
thänig. Ungeachtet sie sich bewußt war, daß sie die Neigung
ves Kaisers nicht theilen könne und wolle, erregte dieselbe
doch ihre Neugierde und brachte sie in Unruhe und Sorge.
In den Briefen an ihre Schwester ergoß sie ihr volles Herz
und bat um ihre Rathschläge, die sie „unbedingt befolgen
wolle“. Und Leopoldine schien für die Ruhe ihrer Schwester
viel mehr besorgt als bei der Versuchung durch Odonell.
Sie kritisirte das Benehmen des Kaisers in der schärssten
Weise, glaubte, daß er es nur auf einen Triumph über ihre
Schwester abgesehen habe, stärkte ihr Vertrauen und mahnte
sie von Woche zu Woche, ihr kaltes Blut zu bewahren.
„Lies die Briefe der Frau Senange“, schrieb sie ihr*), „Du
wirst darin eine schöne, zur Intrigue geneigte Frau finden; ich
sage das nicht um zu vergleichen, denn Zeiten und Sitten
sind verschieden.“ Und weiter: „Ich will nicht leiden, daß
Du unzufrieden mit Dir selbst bist; ich bin vielleicht zu viel,
2) Eleonore an Leopoldine Kaunitz, 11. Juli 1772.
?) Leopoldine Kaunitz an Eleonore Liechtenstein, Briinn, 8. Juli,
10. Aug. 1772.