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den Hof gemacht, aber auf Zoseph hat sie keinen tieferen Ein-
dru> hervorgebracht. Er war vielmehr in jenen Jahren 1771
und 72 ganz von dem Zauber der Fürstin Eleonore Liechten-
stein gefangen und hatte eine wahrhaft ernste Neigung für
sie gefaßt, welche jedoch nicht erwiedert wurde und die er
auch mit edler Kraft bezwungen hat.
Eleonore war vier Zahre-jünger- als Zoseph, ihr leb-
hafter, munterer Geist erheiterte, ihr unabhängiger Siun
reizte ihn. Er war ihr gefällig, zeigte Vertrauen, sprach
und scherzte gerne mit ihr, wurde aber in seinem Benehmen
ihr gegenüber oft unsicher, bald lebhaft, bald kühl und
schweigsam, unruhig wie jeder Mann, der liebt und nicht
wagen darf, es zu gestehen. Im Winter 1771, im Frühjahr
1772 begegnete er ihr überall, bei den Kammerfesten, im
Hause der Fürstin Eßterhazy und Kinsky, im Prater, im
Augarten und in Dornbach. Oftmals stieg er im Prater
vom Pferde, setzte sich zu den Damen Kinsky und Liechten-
stein in den Wagen und führte sie zu irgend einem schönen
Aussicht8punkte, wo sie die Auen und Inseln der Donau
überschauen konnten. Wenn Lascy in Dornbach seine kleinen
Diners gab, kam der Kaiser unangemeldet nach Tisch
hinaus, ritt neben dem Wagen der Frauen einher oder ging
mit ihnen auf den einsamen Waldwegen spazieren. Er theilte
seine Gunst unter alle und war dann von einer Liebens-
würdigkeit, welche alle entzückte *). Eines Tages, als eine
zahlreiche Gesellschaft im Belvederegarten versammelt und
der Kaiser einige Minuten mit der Fürstin Eleonore allein
war, sagte er ihr; „Ich betrac<te Sie wie meine Frau, ich
1) Eleonore an Leopoldine Kaunitz, 9. Mai, 30. Juni 1772.
Wolf, Eleonore Liechtenstein.
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