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eine Heirat vorschlagen.“ Dafür gab sich Joseph mit mehr
Empfänglichkeit dem Verkehr mit der Wiener Gesellschaft und
ihren Frauen hin. Er besuchte die berühmten Matinces des
Fürsten Kaunitz, er kam auf die Bälle bei den Fürsten Paar
und Eßterhazy und in die glänzenden Gesellschaften bei der
Fürstin Kinsky. „Sei ruhig, mein Freund“, schrieb er 1772
seinem Bruder *, „ich genieße die volle Freiheit meiner Seele;
ich vermeide und fliehe Niemand, im Gegentheile, ich theile
meine Abende zwischen drei bis vier Coterien, bin bald bei
der einen, bald bei dex anderen, bei der Fürstin Eßterhazy,
bei der Frau Taroucca, bei der Rosa Harrach und Fürstin
Kinsky. Bei der ersten und dritten finde ich die große Welt,
bei den zwei anderen eine mehr beschränkte Gesellschaft, so
z. B. waren gestern bei der Fürstin Kinsky: sie, ihr Mann,
Frau von Kaunib, die Fürstin Karl Liechtenstein, die Fürstin
Clary, Fürst Kaunitz, Rosenberg, Braganza und ich. Wir
haben mehr als zwei Stunden conversirt und das ist unter-
haltend und unschuldig “ Zu Wien war damals eine neue
Erscheinung aufgetaucht, welche alle Männer entzückte und
jogar den Frauen gefiel: die Fürstin Marie Ehristine Picco-
(omini, eine geborne Fürstin Ruffo-Scilla aus Neapel, eine
junge, lebhafte , geistreiche Ztalienerin, welche umsomehr her-
vorleucht. :2, als ihr Mann, der letzte Piccolomini, in seiner
Völlerei völlig verdummte und nirgends zu sehen war *).
Fürst Kaunitz, der französische Gesandte Durand haben ihr
1) Joseph an Leopold, 26. März 1772. Arneth 1. 365.
2) Jojeph an Leopold, 17. Jänner 1771, Arneth 1. 328. Die
Fürstin heiratete nach dem Tode ihres Mannes 1783 einen Marchese
di Circello und ging nach Italien zurü>. Bergmann, Medaillen. Il. 344.