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Die Briefe, die wir aus jener Zeit von Joseph be-
sien, ergänzen und erhellen diese Züge. Sein ganzes Wesen
erscheint vielmehr vertieft und gereift, durchaus ohne selbst-
süchtige Absicht und nur getragen und durchleuchtet von dem
Bewußtsein seiner Pflichten und dem Gedanken an das Wohl
uind die Macht Oesterreichs. „Die Liebe zum Vaterlande“,
schrieb -* 1768 seinem Bruder, „das Wohl der Monarchie,
das ist die einzige Leidenschaft, die ich fühle und welche mich
in allen Unternehmungen leitet. ZH bin jo davon durch-
drungen, daß meine Seele nur ruhig sein kann, wenn. ich
von dem Nutzen der Einrichtungen überzeugt bin, welche wir
treffen, mir erscheint nichts kleinlich, alles interessirt mich ").“
Sein junger Geist verlangte nach Arbeit und Thätigkeit, aber
er mußte frühzeitig die Macht der Gewohnheit und der Träg-
heit der gegebenen Verhältnisse erfahren. In Deutschland
zeigten sich die Reichsstände entschieden abgeneigt, seine Re-
formpläne zu unterstüßen und in Oesterreich war seine Re-
gentshaft mehr eine berathende als beschließende, so daß er
manches gegen seine Ueberzeugung unterschreiben mußte. In
den ersten Jahren fügte er sich vollständig seiner Mutter, ja
er ging darin bis zur Entsagung und Selbstdemüthigung *),
aber in der Länge der Zeit vermochte er die Nolle seines
Vaters nicht fortzuspielen. Schon 1769 wünschte er seiner
Unterschrift eine selbstständigere Bedeutung zu geben und 1773
und 1775 bat er offen zurücktreten zu dürfen. Da sich seine
2) Josexh an Leopold, 25. Juli 1768. Arneth, Maria Theresia
und Joseph ...., ... 225.
2) Gl. die Briefe Maria Theresia's und Josephs vom 14. Sep-
tember 1766, a. a. O. 4. 292, 203.