Joseph Bergmann. Beiträge zu einer kritischen Geschichte Vorarlbergs
reichgewirkten, faltenlosen Teppich, den die wilde Frutz wie ein grober Faden durchzieht, bis an den
Grenzhüter Rhein sich ausdehnt, und kurzweg der vordere Walgau!) genannt wurde, ist der mil-
deste und fruchtbarste Theil, der Garten Vorarlbergs.
Der Felskegel, dessen Fuss und Gürtel jetzt zum Theile grüne Reben umschlingen , und dessen
Haupt eine grosse Wallfahrtskirche „zu Unsrer lieben Frauen Berg” mit himmelanstrebendem
Thurme und der entzückendsten Rundschau krönt, war als schutzgewährend früh besetzt und umwohnt.
Der erste Ort, der — Clunia ausgenommen — in diesem Gaue geschichtlich auftaucht, ist Vinomna,
romanischen Klanges, und mag, wenn mir eine Deutung erlaubt ist, Weingarten bedeuten. Die Romanen
im obern Rhätien nannten und nennen noch das weitgestreckte Feld um Rankweil und über Altenstatt gen
Feldkirch hinein in ihrer Mundart Camp de S. Pieder, d. i. St. Peters feld, das seinen Namen
von diesem Apostelfürsten entlehnt hat, und nach dem die nordwestlich unter. dem Berge stehende alte
Kirche bis auf den heutigen Tag „zu St. Peter” genannt wird.
. Der deutsche Name von Vinomna, der zum ersten Mal in einem Einkünfte-Rodel des Bisthums
Chur aus dem XI. Jahrhunderte erscheint, heisst wohlbezeichnend im Volksmunde Rankwil oder Rankweil
von dem Worte Rank, d. i. Krümmung, die der Weg um den die gerade Fahrt hindernden Berg machen
muss, und wil, wiler (v/lla), daher im Neulatein Rancovilla.
In dieser sonnigen, fruchtgesegneten Gegend fasste das vom Bodensee und über den Rhein herein-
Aringende aleman nische Element zuerst feste Wurzel, entwelschte mit stillwuchernder Kraft allmäh-
lich den Gau, und trieb zum markigen Stamme geworden weiter hinein längs der Ill, und hinauf am
Rheine seine Äste und Zweige.
St. Fridolin und das Landgericht (mallus publicus) zu Vinomna oder Rankweil. —
Gewiss früh’ fand aus dem nahen Italien das Christenthum in Rhätien Eingang. Die fromme Sage lässt
schon den h. Petrus im untern Rhätien in dem nach ihm genannten campo di San Pieder die
Lehre seines Herrn und Meisters verkündigen. Als Stifter der Kirche zu Chur und ihren ersten: Bischef
verehrt man den angeblich englischen König St. Lucius, der als Glaubensbote vom vindelicischen Augs-
burg her in diese Alpen kam und um 189 nach Christus die Palme des Märtyrers errang. Etliche Jahr-
hunderte später zogen mehrere gotthegeisterte Männer, die Stifter berühmter Gotteshäuser, aus Irland,
wie Columban, Gallus, Magnoald etc. durch Gallien nach Alemannien und weilten um 610 am Boden-
see zu Bregenz, das damals zu Austrasien gehörte. Die Wirksamkeit des h. Gallus am Bodensee und
in der Wildniss an der Sitter fällt in die Regierungszeit K. Chlotar’s II. (v. 613—628) und seines Sohnes
Dagobert I. (+ 19. Jänner 638). Dieser liess auf einer Reise 630 in den nackten Felsen des Buchberges *)
den Halbmond als Grenzzeichen zwischen Burgundien, zu dem damals der Thurgau gehörte, und Rhätien
einhauen.
Der freigebige König bedachte die Kirche zu St. Peter in Rankweil mit Gütern, wesshalb ein Jahr-
tag für ihn daselbst gehalten worden sein soll. Diese Kirche ist wohl die älteste des Gaues. Heute noch
hat sie ein Pfarrvicariat zum h, Petrus mit 67 Angehörigen, während die sie vom Felsen hoch über-
ragende neuere Wallfahrtskirche im J. 1350, 3036 Pfarrgenossen zählte.
Hier ad campos S. Petri war schon zu jener Zeit ein mallus publicus, eine offene Gerichtsstätte,
wie aus der Legende des h. Fridolin erhellet. Ob sie gleich mit Dichtungen verwebt ist, so enthält sie
doch einige geschichtliche Wahrheit. Dass St. Fridolin, ein irländischer Glaubensbote wie Gallus, in unserm
Vorarlberg gewesen, hat uns eine zwölfhundertjährige mündliche Überlieferung erhalten. Der Stift Ein-
siedelnsche Kalender setzt dessen Tod ins Jahr 538. Ambros Eichhorn aber hat in seinem Episcopatus
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1) So in einer Urkunde vom Jahre 1415.
®) Der am Fusse des Buchbergs vorbeifliessende Mattbach, der sich nördlich von Rheineck. in äen Rhein mündet, machte damals die Grenze
zwischen Rhätien und dem Thurgau. Zellweger’s Gesch, des Appenzellischen Volkes, St. Gallen 1842. S. 21, und die beigegebene Karte