Das Lechtal und das Kleine Walsertal.
roteingefasstes, mit Silberknöpfen bestecktes Mieder und das
„Schälkle“, eine kurze rundgeschnittene Jacke aus schwarzem
Tuch. Um den Hals tragen alle Walserinnen vier oder fünf Reihen
rosafarbener Korallenperlen. Die Kopfbedeckung bildet bei warmem
Wetter ein Inntalerhut, so dass man die „Maike“, wie die Walser
ihre Mädchen nennen, leicht für Tirolerinnen halten könnte, bei
kühlem Wetter die pompöse Otterfellmütze, die reichlich ihre hundert-
zwanzig Kronen kostet, und bei Prozessionen funkelt auf den blon-
den un“ braunen Mädchenköpfen der „Kranz“, eine Krone ähnlich
derjenigen der Bregenzerwälderinnen, doch breiter ausgeladen. Es
ist ein hübscher Anblick, wenn die weibliche Jugend, unter der
es oft reizende Erscheinungen gibt, in langer Reihe paarweise im
Festzug geht und das Gold in der Sonne erfunkelt.
Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zeichnet die Bewvöl-
kerung aus, die innige gegenseitige Anteilnahme an Freude und
Leid. Daraus erklärt es sich, dass bei einer Walser Hochzeit oft
gegen hundert Gäste teilnehmen, die von einer Bauernmusik an-
geführt, als Zeichen der festlichen Freude einen Rosmarinstrauss
tragen. Volkskundlich merkwürdig ist auch die Art des Geläutes
bei einem Sterbefall. Traf er einen Kommunikanten, so wird in
allen drei Pfarreien geläutet; ist ein Mann gestorben, so klingt zu-
erst die grosse Clocke, bei einer Frau die zweitgrösste durch das
Tal, dann, von 0° kleinsten Glocke angefangen, jede einzeln, und
endlich läuten alle zusammen dem Toten den Scheidegruss nach.
Die Walserbevölkerung gilt als stolz, sie sieht gern ein wenig auf
die Bregenzerwälder und noch mehr auf die bayerischen Nachbarn
hinab, ein Selbstgefühl, das sich übrigens im Verkehr mit Fremden
nicht auffällig macht. Für das geistige Leben der Bevölkerung
spricht es, dass die drei Bauerngemeinden aus gemeinnützigen
Mitteln die Herausgabe des 1901 erschienenen prächtigen Werkes
„Der Mittelberg“, einer ausserordentlich gründlichen Heimatkunde
des Kleinen Walsertals von Pfarrer J. Fink in Lingenau und Dr. H.
von Klenze in München, ermöglichten. Aus dem stillen Tal ist auch
ein Mann hervorgegangen, den die Technik mit hohen Ehren
nennt, nämlich Leo Müller, geboren 1799 in Mittelberg, der Erfinder
der Buchdrucker-Schnellpresse, der 1843 in Wien starb, wo ihm jetzt
ein Denkmal errichtet werden soll,
Je weiter wir über die grünen, häuserbestreuten Bergterrassen
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