Das Montafon. 4
stehen Kirschbäume in unendlicher Zahl und verleihen, wenn die
Früchte anreifen, dem Tal eine Üppigkeit von berauschender
Pracht.
Mitten in dieser Herrlichkeit ruht wie der Vogel im weichen
Nest das freundliche Dorf Schruns, der Hauptort des Tales, in seiner
gegenwärtigen Entwicklung eher ein kokettes, ländliches Städtchen
als: ein Dorf, der erste Ort Vorarlbergs, der zur Sommerfrische
grösseren Stils geworden ist, überhaupt die besuchteste Fremden-
station des Landes. Die grosse stattliche Kirche, die zum Teil mit
prächtigen Gärten umgebenen, ziemlich zahlreichen Hotels und Gast-
höfe, die reizenden Verkaufsläden, in denen die Menge der Sachen
und Sächelchen ausgestellt sind, die den Bedürfnissen der Touristen
und Sommerfrischler entgegenkommen, viele schöne Privathäuser,
darunter auch hübsche Steinbauten, geben dem Ort das Gepräge
vornehmer Wohligkeit, in die man sich gerne einnistet., Durch das
Dorf braust aus dem Silbertal, das sich ins Illtal öffnet, der Litz-
bach, an dem sich eine wohleingerichtete Schwimmbadeanstalt und
das Elektrizitätswerk erheben.
Schruns, das in mittelalterlicher Zeit zum Bartholomäberg ge-
hörte, ist seit 1597 eine eigene Pfarrei, die Kirche, die ein paarmal,
1682 durch die Schuld eines Soldaten, der einen Vogel auf dem
Dach schiessen wollte, abgebrannt ist, hat ihre jetzige Gestalt aus
den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts,
Der Ort ist der Knotenpunkt der verschiedenen Ausflüge im
Montafon, in dem nicht nur die Fülle der herrlichen Naturgemälde,
sondern auch ein eigenartiges Volksleben die Aufmerksamkeit des
Wanderers erregt. Obwohl die Montafoner eine deutsche Mundart
sprechen, verraten sie doch in Körperbildung, Wesen und Sitte die
rhätoromanische Abkunft. Den Männern fehlt der reckenhafte Wuchs,
den wir an andern Gebirgsbewohnern treffen, an den Frauen fällt
gegenüber den Alemanninnen das dunklere Inkarnat der Gesichtsfarbe
auf, und feine Bildung der Züge und Glieder fesselt an den weib-
lichen Gestalten im Montafon häufiger als in andern Alpentälern.
Die Männer gehen meist in Loden gekleidet, die Mädchen und
Frauen halten mit wenigen Ausnahmen treu zur alten Tracht. Sie
besteht aus einem in Falten gelegten, dunkelbraunen, rot oder grün
belegten Wollrock, einem schwarzen Mieder, aus dem. der seiden-
silber- oder goldgestickte „Brustfleck“ hervorsieht, dem „Tschoppa“,
J. C. Heer, Vorarlberg und Liechtenstein. '
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