Geographische Übersicht.
wie das Nachbarländcehen, das Gemälde eines Volkes, das seine Heimat
durch redlichen Fleiss, sorgliche Pflege der Heimstätten und schlichte.
gesunde Lebensführung zu ehren weiss.
Tritt man vom Bodensee oder Rhein an Vorarlberg und Liechten-
stein hinan, dann erscheint die Landschaft wohl wie eine in sich
geschlossene hohe Bergwelt, über der Gipfel hinter Gipfel, die Häupter
in wachsender Grösse, ragen, und als ob sie nur am Saum des
Rheintales schmucken Städten und gewerbtätigen Dörfern Raum zur
Entfaltung gewähre. Dringen wir aber in die gegen See und Rhein
sich öffnenden Täler, dann löst sich das für den ersten Blick massig
zusammengerückte Bergland in ein wahres Labyrinth, in ein Ge-
wirre von kreuz und quer verlaufenden Tälern und Bergzügen auf,
in dem der Mensch einen Reichtum von Siedelungen geschaffen,
seine Wohnstätten und Hütten bis hoch empor an die sonnigen
Lehnen gebaut hat.
Das beträchtlichste Talgelände Liechtensteins und V orarlbergs
ist die 75 Kilometer lange, ein bis zehn: Kilometer breite Rheinebene
am rechten Ufer des Stromes. Das fruchtbare Anschwemmungss-
land ist im Laufe der Jahrtausende durch die allmähliche Versan-
dung des Bodensees entstanden, der in den Zeiten vor der mensch-
lichen Geschichte bis ins Bündnerland emporreichte. Wie ein Paradies
liegt die Gegend im Schmucke ihres Pflanzenreichtums, des hoch-
aufschiessenden Maises, der dichten Wiesen und der prächtigen Obst-
bäume. Am Gebirgsrand der Ebene, namentlich bei Vaduz, gedeiht
unter dem Einfluss des Föhns, des im Frühling und Herbst wehenden
warmen Südwindes, ein feuriger, köstlicher Wein. Bis vor kurzer
Zeit hauste aber in diesem Paradiese auch eine verderbliche Schlange,
der ungebändigte Rhein, der, mit wenig Gefälle und mit grossen
Krümmungen durchs Land fliessend, zur Zeit der Schneeschmelze
an seinen Gestaden furchtbare Überschwemmungen verursachte
und trotz der Gunst des Klimas und des Fleisses der Bevölkerung‘
den Wohlstand der in der Fruchtebene gebetteten Dörfer untergrub,
Durch einen im Jahre 1892 zwischen der Schweiz und Österreich
abgeschlossenen Vertrag ist nun eine gründliche Regulierung des
Rheins, welche die beiden grössten Stromkrümmungen durch riesige
Kanäle abschneidet, im Werk, und der untere Durchstich, der den
Rhein in unmittelbar‘ nördlicher Richtung auf kürzestem Weg in
den Bodensee führt, bereits vollendet.