Entwicklung direktdemokratischer Instrumente nach 1921
2.2.1 Obligatorische Volksabstimmung bei markanter
Steuersatzerhöhung 1923 bis 2010
Ein aussergewöhnliches Beispiel direktdemokratischer Rechte in Liech-
tenstein wurde 1923 im Steuergesetz eingeführt und bei der Neufassung
des Steuergesetzes 1961 übernommen.
Art. 40 Abs. 2 Steuergesetz (LGBl. 1923.002) sowie Art. 51 Abs. 2 Steuergesetz
(LGBI. 1961.007)
Jede Erhöhung der Steuersátze auf mehr als das Anderthalbfache der Sätze, mit
welchen die Steuern im abgelaufenen Finanzjahre erhoben wurden, unterliegt der
Volksabstimmung.
Nach Abs. 1 der beiden erwähnten Art. 40 und 51 der Steuergesetze von
1923 und 1961 musste der Landtag gleichzeitig mit der Verabschiedung
des Voranschlags (Budget) auch die Steuersätze für das kommende Jahr
festlegen. Eine Erhöhung um mehr als das Anderthalbfache im Vergleich
zum Vorjahr hätte dabei zwingend dem Volk zur Abstimmung unter-
breitet werden müssen.
Dieser Fall ist bemerkenswert, da hiermit zum einen ein obligato-
risches Referendum eingeführt wurde und dies zum anderen auf Geset-
zesstufe ohne entsprechenden Hinweis in der Verfassung. Ein obligato-
risches Referendum war in der Verfassung von 1921 nicht vorgesehen.
Das Referendum im Gesetzgebungsprozess war und ist als fakultatives
Referendum ausgestaltet, egal ob es sich um Gesetzes- oder Verfassungs-
änderungen handelt. Die Formulierungen in den Steuergesetzen von
1923 und 1961 hingegen forderten eine zwingende Volksabstimmung
(«unterliegt der Volksabstimmung») im Falle einer markanten Erhöhung
der Steuersätze auf mehr als das Anderthalbfache der Sätze des abgelau-
fenen Finanzjahres.
Es kam allerdings nie zu einer Volksabstimmung auf der Basis die-
ses Artikels, da eine anderthalbfache Erhöhung des Steuersatzes in der
gesamten Zeit der Gültigkeit dieses Gesetzesartikels nicht vorkam. Im
neuen Gesetz vom 23. September 2010 über die Landes- und Gemeinde-
steuern (Steuergesetz; SteG, LGBI. 2010.340) wurde dieser Artikel still-
172 Himweise bei Ritter 1990, S. 7, Anm. 46; Waschkuhn 1994, S. 325, Fn. 9.
97