Praxis der direkten Demokratie
Die Abstimmungsgeschichte Liechtensteins beginnt im Jahr 1919 mit
einer ersten landesweiten Volksabstimmung. Wie bereits weiter oben
ausgeführt, bestand damals die Rechtsgrundlage für direktdemokrati-
sche Entscheidungen noch gar nicht. Trotzdem wurden noch vor deren
Verankerung in der Verfassung von 1921 zwei Abstimmungen durchge-
führt. Im Anhang zu dieser Studie sind alle landesweiten Volksabstim-
mungen von 1919 bis dato aufgelistet. Die bereits 2016 durchgeführte
Datenanalyse (siehe ab Kapitel 6.4) erfolgte hingegen auf der Basis aller
Volksabstimmungen bis Ende 2015. An den Ergebnissen würde sich
allerdings kaum etwas ändern, wenn auch die Abstimmung vom Septem-
ber 2016 einbezogen würde.
Ausgeschlossen aus der Analyse sind direktdemokratische Verfah-
ren, die vor Abschluss des Verfahrens gescheitert sind. Gründe hierfür
können sein, dass Begehren nach ihrer Anmeldung gar nicht zugelassen
wurden, dass das benötigte Unterschriftenquorum oder die benötigte
Zahl an Gemeindeversammlungsbeschlüssen nicht zustande kam oder
dass ein Begehren nach erfolgreicher Sammeltätigkeit für unzulässig
erklärt wurde. Teilweise wurden solche gescheiterte Vorhaben weiter
oben im Kontext der Rechtsentwicklung und der Beschreibung der
direktdemokratischen Instrumente angeführt.
Selbst nach diesen Abgrenzungen ist nicht eindeutig, was als je-
weils einzelner Fall einer direktdemokratischen Entscheidung zu be-
trachten ist und daher in die Auflistung der Volksentscheide einfliessen
soll. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn Initiativen in zwei separate Ab-
stimmungen aufgeteilt sind, obwohl sie im Grunde genommen den glei-
chen Sachverhalt betreffen (beispielsweise Proporzinitiative 1930), oder
wenn zwei konkurrierende und sich gegenseitig ausschliessende Initiati-
ven zum gleichen Sachverhalt gleichzeitig zur Abstimmung gelangen
(Zahl der Landtagsabgeordneten 1985; Gleichberechtigung 1985; Verfas-
sungsvorlagen 2003; Schutz des Lebens 2005; Pensionsversicherung für
das Staatspersonal 2012 und andere). Hierzu záhlen auch die Gegenvor-
schläge des Landtages zu Initiativen. Schliesslich ist die Konsultativab-
stimmung zum Frauenstimmrecht im Jahr 1968 aus zwei Gründen ein
problematischer Fall, denn einerseits handelte es sich eigentlich um
koordinierte Gemeindeabstimmungen und andererseits wurden trotz
fehlenden Frauenstimmrechts auch die Frauen befragt und ihre Stimm-
abgaben getrennt ausgezählt.
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