Verfahren und Regelungen bei Volksabstimmungen
4.1.3 Exkurs: Diskussionen
über obligatorische Abstimmungen
Im Gegensatz zur Schweiz, wo alle Verfassungsänderungen vom Volk
abgesegnet werden müssen, besteht ein solcher Automatismus in Liech-
tenstein nicht. Es sind aber schon mehrfach Diskussionen über die Ein-
führung von obligatorischen Volksabstimmungen aufgeflammt. Konkret
wurde dies 1972 mit einer Volksinitiative:
1972: Initiative betreffend obligatorische Volksabstimmung über Hochleistungs-
strassen
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Die Volksinitiative stand im Kontext eines Anfang der 1970er-Jahre diskutierten
Projektes einer Hochleistungsstrasse als Verbindungsstück zwischen Österreich
und der Schweiz durch das Liechtensteiner Unterland. Vorausgegangen war ein
Landtagsbeschluss zu einem Gesetz über den Bau von Hochleistungsstrassen und
Hauptverkehrsstrassen am 12. Juni 1969 (LGBI. 1969.039). Ziel der Initiative war es,
Regierungsprojekte über Hochleistungsstrassen obligatorisch einer Volksabstim-
mung zu unterbreiten. Die Initiative wurde am 30. Januar 1972 als formulierte Ini-
tiative bei der Regierung angemeldet, am 5. Februar kundgemacht. Am 17. März
1972 wurden 1152 gültige Unterschriften fristgerecht eingereicht.
Im Bericht an den Landtag vom 28. Márz 1972 áusserte die Regierung Bedenken
hinsichtlich der Verfassungsmássigkeit: «Nach Meinung der Regierung kónne ge-
mäss Verfassung zur Volksabstimmung nur unterbreitet werden, wenn es sich um
Normsetzung oder Akte des Landtages handle. Ein von der Regierung genehmig-
tes generelles Projekt (oder Plan) stelle jedoch eine Verwaltungstätigkeit und nicht
eine Tätigkeit der gesetzgebenden Behörde dar und könne deshalb nicht der Volks-
abstimmung unterbreitet werden.» (Beilage zur óffentlichen Landtagssitzung vom
4. April 1972, Landtagsprotokoll 1972. Konjunktiv im Original)
Der Staatsgerichtshof kam in einem Gutachten vom 25. Juli 1972 (Sitzung am 6. Juli),
welches er im Auftrag des Landtages erstellte, zum selben Ergebnis. «Wenn der
zweite Absatz von Art. 6 der eingebrachten Initiative verlangt, dass der von der
Regierung beschlossene Verwaltungsakt der Volksabstimmung zu unterbreiten ist,
so schafft die Initiative damit ein Verwaltungsreferendum, das in der Verfassung
keine Stütze findet. Das rechtsstaatlich-demokratische Prinzip würde damit durch-
brochen.»
Die FBP und die VU hatten allerdings Verstándnis für das Anliegen der Initianten
und lancierten jeweils eine Gesetzesinitiative im Landtag. Abgeordnete der FBP
brachten am 4. April 1972 einen Gesetzesvorschlag betreffend die Abänderung des
Gesetzes über den Bau von Hochleistungsstrassen und Hauptverkehrsstrassen in
den Landtag ein. Kernpunkt war dabei der neue Art. 6 Abs. 3, wonach die Geneh-
migung genereller Projekte durch ein besonderes Gesetz erfolgen sollte, welches
referendumsfähig wäre. Der StGH wies in seinem Gutachten darauf hin, dass das
Projekt dann mit allen Details zum Inhalt des Gesetzes gemacht werden müsste. «Es