Einleitung
Nicht nur in der Politikwissenschaft, sondern auch im Alltagswissen ist
der Begriff der Demokratie seit vielen Jahrzehnten weitgehend positiv
besetzt. Scharpf stellte indes bereits 1975 fest: «Aber auch kaum ein
anderer politischer Begriff schillert so sehr in seinen Bedeutungen und
dient so viel weniger der Verständigung als der Auseinandersetzung.»!
Unabhängig davon, dass der Begriff der Demokratie positiv assoziiert
ist, herrschen in Praxis und Theorie unterschiedliche Vorstellungen
davon, was Demokratie eigentlich bedeutet und welches ihre optimale
Form ist. Obwohl die Demokratie heute in globalem Massstab die Leit-
form staatlicher Organisation darstellt, ist die Diskussion über die rich-
tige Form der Demokratie nicht abgeklungen. Im Gegenteil. Vor einigen
Jahrzehnten war es noch relativ einfach, mit dem Label der Demokratie
ohne ausschweifende Begründung eine Staatsform zu bezeichnen, die
nicht diktatorisch, nicht traditional, nicht sowjetkommunistisch war.
Damit waren die westlichen Industriestaaten gemeint, in Abgrenzung zu
den Diktaturen lateinamerikanischer, afrikanischer und asiatischer Prä-
gung, zu arabischen Scheichtümern oder zur Sowjetunion und deren
Satellitenstaaten. Inzwischen ist ein beträchtlicher Anteil solcher Kon-
trastsysteme zur Demokratie verschwunden und es reicht nicht mehr
aus, Demokratie ohne weitere Differenzierung als die vergleichsweise
beste Staatsform zu benennen. Fragen nach der Demokratiequalität von
demokratisch organisierten Staaten treten vermehrt in den Fokus und es
werden entsprechend mit wissenschaftlichem Anspruch Instrumente der
Demokratiemessung entwickelt.?
Die Diskussion über die Demokratie ist mit dem Fall der Mauer in
Mittel-Ost-Europa neu lanciert worden: Auf ambitionierterem Niveau
werden Ansprüche an die Demokratie gestellt, an den bereits etablierten
demokratischen Staaten wird substanzielle Kritik geübt, es wird sogar
das Dogma der Universalität der Demokratie infrage gestellt. Ist die
Demokratie eine Regierungs- und Herrschaftsform, die sich nur für
westliche, abendländische Industriestaaten und moderne Dienstleis-
tungsstaaten eignet? Ist die Demokratie übertragbar auf andere Gesell-
schaften und Kulturen? Oder müssen regional- und kulturspezifische
1 Scharpf 1975, S. 8.
2 Weiterführende Literatur beispielsweise Berg-Schlosser 2000; Gaber 2000; Lauth et
al. 2000; Lauth 2004; Merkel et al. 2012.
19