Referendum
3.3.6.1 Voraussetzungen für Dringlicherklärung
Anders als in der Schweiz sind die Voraussetzungen für die Dringlich-
keit nicht formuliert. Nach Batliner (1993) entscheidet der Landtag
daher nach Gutdünken.9** Auch Wille (2015) schreibt: «Der Landtag
entscheidet nach eigenem Ermessen.»*" Dagegen stellen sowohl Ritter
wie auch Schurti die These auf, dass eine zeitliche Dringlichkeit und eine
sachliche Notwendigkeit gegeben sein müssen, um eine Vorlage im
Landtag als dringlich zu erkliren, dhnlich Bussjiger (2017).3% Grund-
sätzlich kann dieser zweiten Meinung zugestimmt werden. Denn erstens
muss davon ausgegangen werden, dass die Dringlicherklärung eine Aus-
nahme darstellt, sonst hätte die Verfassung die Nichtdringlicherklärung
als Ausnahmefall behandelt. Eine Ausnahmeregelung setzt aber zwei-
tens Kriterien ihres Ausnahmecharakters — selbst wenn sie unausgespro-
chen sind — voraus, da ansonsten der willkürlichen Entscheidung Tür
und Tor geöffnet wäre. Als solche Kriterien drängen sich drittens der
sachliche und der zeitliche Aspekt auf. Viertens würde es einer Aushöh-
lung der direktdemokratischen Volksrechte und einer Unterwanderung
der diesbezüglichen Bestimmungen der Verfassung gleichkommen,
wenn der Landtag nach Belieben oder sogar systematisch oder vollstän-
dig Beschlüsse durch Dringlicherklärung einer Volksabstimmung ent-
ziehen könnte.
Zu definieren oder judizieren — was jedoch bisher nicht geschehen
ist — wáren demnach die Fille erlaubter oder unerlaubter Dringlicherklà-
rung. Sachlich sicherlich gerechtfertigt ist es, Beschlüsse dem Referen-
dum zu entziehen, die keinen Gestaltungsspielraum aufweisen und
unaufschiebbar sind. Darunter ist beispielsweise der gesetzliche Nach-
vollzug von EWR-Recht zu verstehen, sofern es keinen innerstaatlichen
gesetzlichen Spielraum gibt (Kapitel 3.3.5). Ebenfalls gerechtfertigt er-
scheint die Verabschiedung des Landesvoranschlages (Budget) im Land-
tag als dringliches Finanzgesetz, da sonst die Handlungsunfähigkeit der
rendums, explizit dagegen ausgesprochen, dass Staatsverträge nicht für dringlich
erklärt werden kónnten. Abgedruckt in Liechtenstein-Institut (Hg.) 2009, S. 103-
117, zur Dringlicherklárung S. 108f.
306 Batliner 1993, S. 188.
307 Wille 2015, S. 431.
308 Ritter 1990, S. 7; Schurti 1989, S. 153; Bussjáger 2017, Rz. 33.
181