Volltext: Direkte Demokratie in Liechtenstein

Die direktdemokratischen Instrumente in der Gegenwart 
Nun ist es aber wohl falsch, die vom StGH verwendeten Begriffe der 
«Einheitlichkeit des Initiativbegehrens» und der «Einheitlichkeit der 
Materie»226 dem Begriff der «Einheit der Materie» gleichzusetzen.?7 Der 
StGH hat sich eindeutig von einer wôrtlichen Auslegung entfernt und 
stattdessen den «inneren Zusammenhang» eines Begehrens ins Zentrum 
gerückt. Die Kompilation verschiedener Gesetzesänderungen ein- 
226 
227 
130 
Einführung der betreffenden Gesetzesbestimmungen, den Zweck der Bestimmung 
in den Vordergrund gestellt und insofern eine teleologische Auslegung vorgenom- 
men. Eine Angreifbarkeit der Interpretation besteht an zwei Punkten. Nach Kley 
besteht in der liechtensteinischen Rechtsprechung der Grundsatz, dass jede Ausle- 
gung zunächst vom Gesetzeswortlaut ausgeht. Erst wenn diese Methode keine Ant- 
wort gibt, ist zu fragen, was das Gesetz vernünftigerweise meint (S. 85). In der wört- 
lichen Auslegung könnte man aber zum Schluss kommen, dass unter Begehren «ver- 
schiedener Art» Begehren auf Stufe Verfassung, auf Stufe Gesetz oder ein 
Finanzbeschluss zu verstehen sind. Zweitens argumentiert der StGH mit dem über- 
geordneten Zweck, wonach die eindeutige Ermittlung des Volkswillens im Vorder- 
grund steht. Nach Kley (S. 91) zeigt aber die liechtensteinische Spruchpraxis, dass es 
dabei wichtig ist, «dass der Zweck in der Rechtsnorm oder im betreffenden Gesetz 
bereits enthalten sein muss; es wäre unzulässig, normfremde Zwecke in die Norm 
hineinzulegen.» Die eindeutige Ermittlung des Volkswillens ist jedoch eine kom- 
plexe Angelegenheit. Die Zustimmung oder Ablehnung einer Vorlage ist meistens 
eine Frage der Abwägung, selbst wenn es sich um eine materiell einheitliche Vorlage 
handelt. Wollte man dies vermeiden, müsste jede Vorlage in Abstimmungen über 
deren einzelne Artikel aufgeteilt werden. Die Frage, was unter «eindeutige Ermitt- 
lung des Volkswillens» zu verstehen ist, müsste also geklärt werden. Ein ganz ande- 
rer, bisher nicht bearbeiteter Aspekt ist die Frage, wie es sich verhält, wenn eine Ver- 
fassungsabstimmung durchgeführt wird, die notgedrungen auch Gesetzesänderun- 
gen nach sich zieht. Im Falle der Verfassungsabstimmung von 2003 war impliziert, 
dass eine Reihe von Gesetzesanpassungen notwendig wurden (Staatsgerichtshofge- 
setz, Richterbestellungsgesetz). Es würde wenig Sinn ergeben, in wörtlicher Ausle- 
gung der oben erwähnten Bestimmung des VRG eine Abstimmung über eine Ver- 
fassungsänderung einschliesslich einer unabdingbar notwendigen Anpassung auf 
Gesetzesebene in einer gemeinsamen Vorlage auszuschliessen, weil dies die Einheit 
der Materie verletzt, während es andererseits zulässig sein sollte, dass völlig unter- 
schiedliche Sachverhalte in einer einzigen Vorlage auftauchen, solange sie sich nur 
auf ein einzelnes Gesetz oder die Verfassung beschränken. 
StGH 1964/3, Gutachten vom 22. Oktober 1964, in: ELG 1962-1966, S. 224. 
Eine diesbezügliche Gleichsetzung vollziehen wohl die Beschwerdeführer gegen die 
Anmeldung der Initiative von Fürst Hans-Adam II. und Erbprinz Alois im Jahr 
2002, wonach der StGH in den im Text erwähnten Gutachten von 1964 und 1986 
festgehalten habe, dass die «Einheitlichkeit der Materie» bzw. die «Einheit der 
Materie» in Liechtenstein gelte (nach VBI 2002/96 vom 12. November 2002, S. 67). 
Die VBI ging auf diese Unterscheidung nicht näher ein, sondern stellte das Gebot 
der «Einheit der Materie» in Liechtenstein mit Verweis auf Batliner (1993) grund- 
sátzlich in Abrede.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.