Die Geistes-
vissenschaften
handen. Von auswärts kommende Studenten empfanden das öster-
reichische Universitätsleben als «kläglich und rückständig».”” Eine Bur-
schenschaft existierte während Kaisers Anwesenheit in Wien nicht. Das
Fach der Geschichte war in seinem Anspruch tief angesetzt und bot nicht
viel mehr als «zweckmässig angeordnete Tatsachenangaben». Das histori-
sche Detail fristete ein kümmerliches Dasein, und die Historie insgesamt
spielte an den österreichischen Universitäten eine zweitrangige Rolle.%0
Auch nach dem Tode Kaiser Josefs II. war die Zeit ungünstig. Unter Kaiser
Franz IL bremste die Revolutionsfurcht die Verbreitung von umfassenden
Kenntnissen unter der Bevölkerung.“
Das philosophische Studium an den österreichischen Universitäten“ dau-
erte entsprechend der Neuordnung vom 12. Juli 1805 mindestens drei
Jahre.“ Täglich wurden höchstens vier Lektionen unterrichtet. Die Pflicht-
fächer erhielten grosses Gewicht beigemessen, weil der Staat nicht den
Zweck verfolgte, «Gelehrte zu bilden».“ Sie umfassten die Disziplinen
theoretische und praktische Philosophie, Weltgeschichte, Mathematik,
Religion, Griechisch und Physik. Im dritten Jahr kam ein «Studium der
Klassiker zur Bildung des Geschmacks» dazu.“ Die Universitäten hatten
damals je eine Geschichtsprofessur der Universal- und österreichischen
Staatengeschichte mit Einschluss der historischen Hilfswissenschaf-
ten. Eine Prüfung war nur vorgeschrieben, wenn man Stipendiat oder
Lehramtskandidat war. Obwohl die Universitäten im Vergleich etwa zu
Deutschland viel zu wünschen übrig liessen, und obwohl das Fach
Geschichte — man pflegt den Josefinern einen Mangel an historischem
Sinn nachzusagen — eine Nebenrolle spielte, hatte Österreich in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa in den Personen von Alois Primisser,
Josef von Hormayr, sowie des Mähren Josef Chmel und des Benediktiners
39. Alphons LHOTSKY: Das Ende des Jose- vgl. GÜRTLER: Das Studium 1800 bis zur Revo-
phinismus. IN: Aufsätze und Vorträge. Bd. 3. lution 1848.
Wien 1972, S. 266. 43. Darüber ausführlich MEISTER: Ent-
40. Alphons LHOTSKY: Das Ende des Jose- wicklung und Reformen des österreichischen
phinismus. IN: Aufsätze und Vorträge. Bd, 3. Studienwesens, S. 33 ff. — MATIASEK:
Wien 1972, 5. 273. Geschichtsunterricht, 5. 25 ff.
41. LHOTSKY: Österreichische Historiogra- 44. ENGELBRECHT: Bildungswesen, S. 278.
phie, S. 133. — LHOTSKY: Institut für öster- 45. ENGELBRECHT: Bildungswesen, $. 277.
reichische Geschichtsforschung, S. 11 f. — Vgl. 46. Zur Sache vgl. MATIASEK: Geschichts-
Julius MARX: Die österreichische Zensur im unterricht an der Wiener-Universität bis 1848.
Vormärz. Wien 1959, 47. LHOTSKY: Österreichische Historiogra-
42. Zu den österreichischen Universitäten phie, S. 133 ff.
1792—1848 vgl. STRAKOSCH-GRASSMANN: 48. Mitgeteilt von Rudolf Rheinberger; vgl.
Österreichisches Unterrichtswesen, S. 145— RHEINBERGER: Liechtensteiner Ärzte, 5.79. —
149. — ENGELBRECHT: Bildungswesen, bes. "ranz Wilde, Vizedirektor des philosophi-
5.277 ff. zum philosophischen Studium, — schen Studiums, starb 77jährig am 31.Juli 1828,
Franz GALL: Alma Mater Rudolphina 1365— ‘gnaz Appeltauer mit 52 Jahren am 30. Januar
1965. Die Wiener Universität und ihre Studen- 1830; aus den Abschriften der Sterbeeintragun-
‚en. Wien, 1965. — Zu den Wiener Gymnasien gen sowie der Deckblätter der Verlassen-
und der Wiener Universität von 1800—1848 ;schaftsabhandlungen im Wiener Stadt- und