Neben der praktischen pädagogischen Arbeit gehörte das wissenschaftli-
che Interesse Peter Kaisers in erster Linie der Geschichtsforschung. Er hat
Arbeiten zu verschiedenen historischen Themen verfasst und nahm im
Bereich der Geschichtskunde óffentliche Verpflichtungen wahr. Er lernte
und lehrte in einer Zeit tiefgreifender Umwilzungen in Gesellschaft, Staat
und anderen Bereichen, in einer Zeit, in der sich auch die Geschichtswis-
senschaft in Aufbruchstimmung befand."'! Die sogenannten Geisteswis-
senschaften begannen sich zu entfalten. In diesem Prozess vollzog sich ab
etwa der Mitte des 19. JAahrhunderts «eine der grossen geistigen Revolutio-
nen der Neuzeit», der Historismus.^?
Die Geschichtswissenschaft wurde im 19. Jahrhundert als autonome Wis-
senschaft anerkannt, als sie methodischem Vorgehen und der Quellen-
analyse vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken begann, sich vom Ratio-
nalismus und seiner mechanistisch-kausalen Welterklärung abkehrte
und eine genetische Betrachtungsweise gewann. Die Historie grenzte sich
ab, etwa gegen Philosophie, Geschichtsphilosophie und gegen die über-
kommenen Traditionen der Geschichtsschreibung. Sie verselbstándigte
sich als Wissenschaft.
Die Welt der Menschen und die Gegenwart wurden zunehmend
geschichtlich aufgefasst, die Welt als Geschichte interpretiert. In Deutsch-
land ist dieser Aufbruch markiert durch die Begründung der Historischen
Rechtsschule durch Friedrich Carl von Savigny, wonach das Recht im
Bewusstsein des Volkes geschichtlich-organisch entstehe und wachse,
durch die historische Betrachtungsweise und dynamische Weltauffassung
Georg Wilhelm Friedrich Hegels, sowie durch die quellenkritischen
Untersuchungen Barthold Georg Niebuhrs auf dem Gebiet der rómischen
Geschichte und Leopold von Rankes im Bereich der Medidvistik und
441. Dazu vgl. FELLER: Geschichtsschrei-
bung im 19. Jahrhundert. — LHOTSKY: Oster-
reichische Historiographie. — FELLER/BON-
JOUR: Geschichtsschreibung der Schweiz. —
Th. KORNBICHLER: Deutsche Geschichts-
schreibung im 19. Jahrhundert. Pfaffenweiler
1984.
442. NIPPERDEY: Deutsche Geschichte
1800—1866, S. 498 ff. — Friedrich MEINECKE:
Die Entstehung des Historismus. (2 Bde.).
München, 4. Aufl. 1965. — J. STREISAND
(Hrsg): Die deutsche Geschichtswissenschaft
vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur
Reichseinigung. Berlin (Ost) 1963. — Georg G.
IGGERS: Deutsche Geschichtswissenschaft.
München 1971 (dtv 4059), S. 43 ff. — Annette
WITTKAU: Historismus. Zur Geschichte des
Begriffs und des Problems. Góttingen 1992. —
E. JAGER/J. RÜSEN: Geschichte des Historis-
mus. Eine Einführung. München 1992.
Die Geschichts-
wissenschaft
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