VI. Die zweite Auswanderungswelle (1880-1884)
«Balzers, 7. Febr. (Eingesandt.) Nachdem im vergangenen Jahre schon
mehr als 20 Personen von hier nach Amerika ausgewandert sind,
scheint sich im laufenden Jahre ein förmliches Auswanderungsfieber
entwickeln zu wollen. Zirka 50 Personen (wenn nicht noch mehr) wer-
den in nächster Zeit (März und April) den Weg übers grosse Wasser
antreten, um im fernen Lande ihren Lebensunterhalt zu suchen. Unter
diesen Auswanderern befinden sich auch Familienväter, die, wenn sie
sich eine Existenz erworben haben, Frau und Kinder nachkommen las:
sen, wodurch die Auswanderungsziffer sich noch erheblich steigert
und demnach annähernd 8 Prozent der Balzner Bevölkerung beträgt.
Dieses aussergewöhnliche Ereigniss ist, obwohl zum Theil auch
Überbevölkerung vorhanden, durch gewichtigere Ursachen bedingt.
Die eigentliche Ursache ist in der Verdienstlosigkeit, in den letzten
schlechten Erntejahren und in den bei derartigen Verhältnissen dop-
pelt fühlbaren Überanstrengung der Gemeinde in Folge der Rheinbau-
ten etc. zu suchen ...
Wäre es daher nicht sehr angezeigt, wenn die Gründe des allge-
meinen volkswirthschaftlichen Niedergangs, der leider auch in ande:
ren Gemeinden Liechtensteins mehr oder weniger Platz greift, ernst-
lich in Erwägung gezogen würden, um diesem Übel so gut als möglich
durch geeignete Mittel zu steuern ...»!?
Die Auswanderung nimmt wieder zu
Dieser Artikel im «Liechtensteiner Volksblatt» erschien zu einem Zeit-
punkt, als die zweite Auswanderungswelle aus Liechtenstein ihrem
Höhepunkt zustrebte; waren 1880 nur vereinzelt Fälle registriert wor-
den, so stieg die Zahl ein Jahr später plötzlich an. Durch die Entwick:
lung alarmiert, forderte Landesverweser von Hausen die Gemeinden
im Frühjahr 1882 auf, innerhalb von acht Tagen zu melden, wieviele
Personen in den Jahren 1881 und 1882 ausgewandert seien.'“® Die
Antworten ergaben 79 Personen für das Jahr 1881 und bereits 55 Per
sonen für das laufende Jahr 1882. Mit 62 Personen stellte die Gemein-
de Balzers wiederum das grösste Auswandererkontingent.!“* In einem
Bericht an den Fürsten schrieb der Landesverweser:
«Die Ursache dieser etwas mehr als 1% der Gesamtbevölkerung des
Fürstenthums betragenden Auswanderung liegt einerseits in dem
Mangel an Verdienst in der hiesigen Gegend sowie in den minderen
Ernten und Weinerträgnissen der vergangenen Jahre und anderseits
aber auch in dem Zufalle, dass die ersten Auswanderer in ihrer
gewählten neuen Heimat schnell ein Unterkommen und ein zufrieden-
Auswanderung im 19. Jahrhundert