auf Englisch und auf Deutsch. Es wäre eigentlich auch gut, bei dieser
Gelegenheit ein bisschen Anglistik zu studieren, dachte ich mir und
zing ins anglistische Seminar. Dort sagte man mir, man müsse mit
Angelsächsisch anfangen. Das war zwar nicht allzu schwer für mich,
da es dem Gotischen, das ich aus der Germanistik kannte, ziemlich
ähnlich war. Aber als Vorbereitung auf das Leben und Sprechen in
Amerika war es so hilfreich wie das Gotische für die tägliche Konver-
zation in Göttingen.
Wie sich dann in jenem Frühjahr und Sommer die praktischen Vor-
bereitungen und Angelegenheiten regelten, ist merkwürdig aus mei-
nem Gedächtnis ausgelöscht, als wär’s im Schlaf geschehen. Schlaf-
wandlerisch begann Amerika Wirklichkeit zu werden. Nur an meine
Sprachübungen erinnere ich mich, wie ich jeden Tag eine Lektion
durcharbeitete, wie ich dann das ganze Frühjahr und den ganzen
Sommer Wort für Wort, Satz für Satz den «Ulysses» von James Joyce
durcharbeitete, Vokabeln und Wortspiele, Ausdrücke und Idiome in
sin Heft schrieb. Mir schien, ich hatte den richtigen Text gewählt, ins-
zenierte dieser Roman doch das ganze Panorama der englischen Spra-
zhe. So dachte ich.
Dann sass ich im späten August in Kloten im Flugzeug. Zum ersten
Mal in einem Flugzeug. Mein erster Flug: von Zürich über New York
nach Los Angeles. In New York musste ich umsteigen, und das hiess
auch durch die Einwanderungsformalitäten und den Zoll gehen. Da
sollte ich nun zum ersten Mal mein neu erworbenes Englisch vor der
amerikanischen Einwanderungsbehörde unter Beweis stellen. Was ich
von dem Beamten hörte, klang sehr anders als das, was ich mir beim
Lesen von Langenscheidt und «Ulysses» vorgestellt hatte. Es war mir
schlechterdings unverständlich, nicht nur weil die erste Frage eines
der wenigen Worte der englischen Sprache enthielt, das im «Ulysses»
nicht vorkommt. Die Frage, wie ich erst nachträglich herausfand, lau-
;ete: «Where is your x-ray ?» X-rays, Röntgenbilder, gab es im «Ulys-
zes», der sich an einem Tag im Juni 1906 abspielt, nicht.
Tatsächlich hatte ich ein Röntgenbild mit mir. Aber das war, weil in
voller Lebensgrösse meinen Brustkasten durchleuchtend, unten in
meinem grossen Koffer. Das war damals noch nötig, um ein Aufent-
haltsvisum für die USA zu bekommen. Tuberkulose, Syphilis und Kom-
munismus waren die gefürchteten Viren, die man fernhalten wollte.
Von den ersten beiden war ich durch eine ärztliche Untersuchung in
Zürich und durch das Röntgenbild freigesprochen. Aber erst das Rönt-
genbild finden und überhaupt wissen, dass es darum ging. Eine
freundliche Stewardess der Swissair kam mir schliesslich zu Hilfe; ich
fand meinen Koffer, fand das Röntgenbild. Aber die erste Konfronta-
ion mit Amerika hatte mich tief deprimiert. Melancholisch wie nur in
Adele
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