«In Kanada war ich ein anderer Mensch als hier»
Zin Gespräch mit der Rückwanderin Rita McLean-Sele
Rita McLean sah eigentlich keinen Sinn darin, ihre Geschichte in ein
Buch über Auswanderer aufzunehmen. Sie sei ja nicht mehr fort, und
wie die meisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg Liechtenstein verlas-
sen haben, sah sie sich selbst nie bewusst als Auswanderin. Bei ihr
traf das typische - mittlerweile fast klischeehafte - Motiv, «es in Ame-
rika zu etwas bringen zu wollen», nicht mehr zu, wirtschaftliche
Beweggründe werden von den Emigranten der letzten Jahrzehnte kei-
ne mehr angeführt. Gerade weil äussere Umstände wie Arbeitslosig-
keit oder wirtschaftliche Not heute nicht mehr ausschlaggebend sind,
sind Berichte wie jener von Rita McLean aufschlussreich. Sie geben
ginen Einblick in eher persönliche Motive, die statistisch oder wissen-
schaftlich schwierig zu fassen sind. Die Auswanderung ist stärker als
eine innere Erfahrung erkennbar.
Rita Sele war gerade 21 Jahre alt geworden, eigentlich lief alles
ganz gut in ihrem Leben, «aber es het mir eifach nid so rächt passet.»
Nach abgeschlossener Ausbildung überkam sie die Abenteuerlust. Die
Nase voll hatte sie vom ewig gleichen Stallgeruch - aber das würde sie
nicht so sagen, auch wenn es damals so war. Sie ist doch eine echte
Bergerin und auch gerne.
Zur schwelenden, vielleicht altersbedingten Rastlosigkeit kam dann
aoch Liebeskummer hinzu, was ihr endgültig den Anstoss gab: «Ein-
fach fort han ich wella.» Sie meldete sich in Florenz in eine Kunstge-
werbeschule an, irgendwie platzte aber dieses Vorhaben. Dann las sie
in einer Zeitung, in Toronto seien noch Au-pair-Stellen zu haben.
So eine Stelle bekam sie. Rita freute sich «usinnig» auf Toronto
(Kanada). Sie wähnte sich schon dort, als sie noch in Triesenberg war.
Tatsächlich reiste sie über Toronto ein, der Vater der Familie, in der
sie als Nanny (Kindermädchen) angestellt sein würde, holte sie ab, als
sie das Einwanderungsprozedere hinter sich gebracht hatte.
Aber die Familie wohnte in Montreal (Quebec). Die Adresse in
Toronto war fiktiv, weil es für Kanadier in der Provinz Quebec schwie-
riger sei, Bewilligungen für ausländische Arbeitskräfte zu bekommen
als in der Provinz Ontario. Das fängt ja gut an, dachte sich Rita. Von
Anfang an nicht das, was sie erwartet und worauf sie sich gefreut hat-
te. Rita hatte dann aber die Möglichkeit, zwei oder drei Mal Toronto zu
besuchen. Wie froh war sie, in Montr6al gelandet zu sein. Toronto fand
sie eigentlich viel zu englisch, etwas trocken und spröde, nichts als
business, so kam es ihr wenigstens vor. In Montreal dagegen herrschte
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