lien überschüttet wurden. Mutter erklärte uns Mädchen: Sie fühlen
aicht weniger, sie zeigen’s nur weniger.
So gewöhnten wir uns daran, mit kulturellen Unterschieden umzu-
zehen. Meine Schwester und ich wuchsen auf mit zwei Kulturen unter
aäinem Dach und noch einer draussen vor der Tür. Vater kochte pasta
zsciutta und Mutter Knöpfli mit Apfelmus. Beide Eltern haben einen
starken Akzent, wenn sie englisch sprechen. Vater hatte sein liebe
Mühe mit Englisch seit dem Tag, an dem er 1961 in New York ankam.
Weil er Besitzer und Geschäftsführer eines beliebten italienischen
Restaurants ist, gelang es ihm stets auszukommen, ohne sich um seine
descheidenen Englischkenntnisse Sorgen machen zu müssen. Mutter
Jagegen fiel es leicht, Sprachen zu erlernen. Sie perfektionierte ihr Ita-
lienisch, um sich mit ihrem Mann zu unterhalten, und lernte Englisch
soweit, dass sie ihren Töchtern bei den Schulaufsätzen helfen konnte.
Allerdings scheute sie sich damals, etwa jemanden nach dem Weg zu
Fragen oder zu Hause das Telefon abzunehmen. Englisch zu reden, das
delegierte sie lange Zeit lieber an ihre Töchter. Ich glaube, diese Erfah-
-ung hat uns Kinder früh selbständig gemacht.
Manchmal bekomme ich einen Eindruck von der Frau, die ihre
Familie und ihr Land für ein Leben in Amerika zurückliess. Noch heu-
;e kommt es hin und wieder zu einem Wortgefecht zwischen Mutter
und mir, wenn sie mich in Manhattan besuchen will. Sie fährt nie
selbst, sondern immer mit dem Zug oder Bus. Sie behauptet, es sei zu
zefährlich, selbst zu fahren, der Verkehr in Manhattan sei verrückt. Ich
widerspreche ihr immer wieder mit der gleichen ungläubigen Bemer-
kung: «Das sagt die gleiche Frau, die vor gut dreissig Jahren mit zwei
Koffern in den Händen ein Schiff bestieg, die kein Englisch sprach und
lediglich wusste, dass eine Frau in einem roten Mantel ihr bei der
Ankunft in New York mit einer Zeitung zuwinken würde.»
Rita Öhri aus Ruggell kam 1965 in den Staaten an. Sie war gerade
23 Jahre alt. Ich höre immer wieder gerne ihre Geschichte, wie ihr
Zousin ursprünglich die Idee hatte, nach Amerika zu fahren, aber
schliesslich sie diejenige war, die sich alleine auf einer fünftägigen
“berfahrt auf der «Queen Mary» wiederfand. Eine jüdische Familie
natte sie als Kindermädchen (Swiss Nanny) angeheuert.
Ihre Wanderlust war wohl schon früher zu Tage gekommen. Sie
verabschiedete sich von Ruggell, als sie erst 15 Jahre alt war. Frisch
aus der Schule, wollte sie Französisch lernen und keine Lehre machen
wie all die andern. Obwohl Rita eine schöne und friedliche Kindheit
auf dem Bauernhof der Eltern verbracht hatte, zog es sie trotzdem in
die Fremde. Es war nicht einfach, erklärt Rita ihre Wanderlust heute,
die Eltern, Geschwister und den Heimatort Ruggell zu verlassen, aber
der Drang nach dem Fremden und Neuen war stärker. Sie besorgte
Massaro-Öhri
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