fen, oder wenn die alten Freunde wieder einmal über alte Zeiten rede-
ten und sich an den einen erinnerten, so wie er damals gewesen war,
ınd ihn sich nicht anders vorstellen könnten als genau so.
Gegenseitig von sich wüssten sie weniger zu erzählen, wenn sie
sich am Wirtshaustisch gegenübersässen, denn ein klares Bild ihres
früheren Lebens stelle sich kaum ein, wenn sie sich, gealtert und
schon etwas lebensmüde und gelangweilt, am Wirtshaustisch gegen-
übersässen und erzählten von alten Zeiten. So brächten sie die Zeit
damit zu, von Sandro Klingenschmid zu erzählen, der ein Jahr lang,
als sie die dritte Klasse der Volksschule besuchten, im Dorf wohnte
und von Religionsunterricht und biblischer Geschichte dispensiert ge-
wesen war. Niemand hatte je wieder von ihm gehört. In ihrer Erinne-
ung würde er für immer klein und schüchtern bleiben, und sie wür
den nicht vergessen, dass er nicht Dialekt, sondern mit hoher und lei-
ser Stimme nach der Schrift sprach.
Und ich fragte mich, ob sich noch jemand daran erinnere, dass
1971 eine Familie aus Süditalien in mein Dorf gezogen war, ins Haus,
das demjenigen meiner Grossmutter gegenüberlag und als baufällig
galt und lange leergestanden hatte. Die zwei Knaben, einer so alt wie
mein Bruder, der andere wie ich, hatten Namen, die wie Felsbrocken
aus dem Dialekt ragten: Domenico und Antonio Belmonte. Der Lehrer
in der zweiten Klasse sorgte dafür, dass Antonio die Klasse verlassen
musste und in die Hilfsschule für geistig behinderte Schüler geschickt
wurde.
Zwei Jahre später kamen Antonio und Domenico, die wir Toni und
Mimo nannten, nochmals für ein paar Jahre ins Dorf zurück. Ich erin-
aere mich, wie Toni mich einmal seinen Freund nannte, und wie ich
mitlachte, als drei Klassenkameraden erzählten, wie sie ihn neben
dem verwesenden Kadaver eines Dachses am Boden festgebunden
nätten, und wie sie ihn dort liegen liessen, bis bei Einbruch der Däm-
merung Antonios Mutter, schon etwas beunruhigt über das lange Aus-
oleiben ihres Sohnes, ihn dort gefunden haben muss, schon etwas steif
in den Gelenken und vom üblen Gestank des Kadavers gewürgt und
leise vor sich hin weinend, wie ich mir vorstelle. Das muss sich, denke
‚ch jetzt, 1971 oder 1972 zugetragen haben, noch während Antonios
arstem Aufenthalt im Dorf.
Am Samstag ging Toni in die italienische Schule, die es damals in
Liechtenstein gab. Er wolle seine Sprache nicht vergessen und sein
Land, sagte er einmal, als ich ihn fragte, was er in der anderen Schule
mache. Italien sei das schönste Land. Sein Vater müsse hier Geld ver-
dienen. Dann zögen sie wieder nach Hause, und er, sagte Antonio
werde einmal einen Bauernhof haben mit Tieren und mit Olivenbäu-
men. Vielleicht könne ich ihn dann besuchen kommen.
Gileen
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