Konrad Sele und Frank
Beck im Dezember 1995
in Los Angeles
Kaum einmal berichtete Konrad Sele in seinen Briefen über gesell-
schaftliche oder politische Ereignisse: 1936 erwähnt er, er habe seine
Stimme für Präsident Roosevelt abgegeben. In den fünfziger Jahren
beruhigt er die Familienmitglieder am Bärg, er werde bestimmt nicht
wieder eingezogen (Koreakrieg). Und am 25. November 1963 schreibt
er: «Unser beliebter President Kennedy wurde am Freitag in Dallas,
Texas, von einem Fenster im 6ten Stock in den Kopf geschossen und
(ist) leider 30 Minuten später in einem Spital gestorben ... Man fühlte
so wie ein Mitglied der eigenen Familie ermordet (worden wäre).
Haben die letzten 3 Tage den Fernsehapparat kaum verlassen.»
Nach seiner Pensionierung verbringen Margaret und
Konrad Sele mehrere Jahre nacheinander ein paar Tage in
Las Vegas. Er kann jedes Mal über schöne, wenn auch nicht
grosse Glückspielgewinne berichten. Auch hier scheint ihm
besonders nennenswert, wieviel die Übernachtungen kosten
oder wie günstig dort das Essen sei. Man bekommt einen
Eindruck davon, wie tief in einem Menschen, der wie Kon-
rad Sele einmal Arbeitslosigkeit und Mangel erlebt hat, die-
se Erfahrung steckenbleibt, auch nachdem die finanzielle
Sicherheit längst erreicht worden ist. Die Erfahrung materi-
eller Not - der ursprüngliche Grund für die Auswanderung -
bestimmt so auch Jahrzehnte später noch die Wahrneh-
mung der neuen Heimat. Konrad Sele entdeckte täglich neue Beispiele
dafür, um wieviel besser es ihm in den USA ergangen war. So erstaunt
es denn auch nicht, dass er am 9. November 1990 mit spürbarer Ver-
wunderung von den jüngsten Sparmassnahmen der Stadt Los Angeles
berichtet: «Wir müssen jetzt Wasser sparen, nicht zu viel brauchen.
Los Angeles hat jetzt ein Recycling Programm. Wir müssen den garba-
ge separieren (Abfall trennen). Zeitungen, Glas, Aluminium und Stahl-
büchsen werden jede Woche gesammelt. Sie können damit Profit
machen.»
Auf die Frage, ob er wieder auswandern würde, sagte Konrad Sele
beim Interview im Dezember 1995 kurz und bestimmt: «Yes.» In
Liechtenstein war vieles besser geworden, das hatte er beim Besuch
1977 gesehen. Besonders die vielen neuen und schönen Häuser mach-
;en damals Eindruck auf ihn. «But they still make hay mid dr Säges-
sa», wandte er ein: «Aber sie machen immer noch mit der Sense Heu.»
Konrad Sele starb am 12. Juli 1998 in Los Angeles.
Quellen: Briefe von Konrad Sele an seine Eltern und Geschwister aus dem Besitz von
Hedwig Beck, Triesenberg. Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden in den Zitaten
oehutsam den heutigen Regeln angepasst. Pio Schurti interviewte Konrad Sele am
17. Dezember 1995 in seinem Haus in Los Angeles.
Fed