John Latenser als Architekt - Ein Kommentar von Florin Frick
Es genügt, sich die ausserordentliche Schaffenskraft und Produktivität
John Latensers vor Augen zu führen, um seine Bedeutung als Archi-
tekt für die Stadt Omaha abschätzen zu können. Allein die grosse
Anzahl errichteter Gebäude ist imposant. Latensers zahlreiche Bauten
prägten zweifelsohne das Antlitz der Stadt. Es gilt nun, an dieser Stel-
le — aus beträchtlicher zeitlicher und geographischer Distanz — eine
vorläufige Einschätzung seiner Arbeit zu wagen.
John Latensers Werk ist - aus europäischer Sicht —- weitestgehend
dem Historismus zuzuordnen, der sich durch Stilpluralismus und ek-
lektische Stilvermischung auszeichnete. Dabei wurden die Stile sowohl
nach formalen wie auch inhaltlichen Kriterien ausgewählt. Beispiels-
weise wurde die Gotik für Kirchenbauten gewählt, weil man darin die
entgültige Form des Sakralbaus zu erkennen meinte. Die Renaissance
galt als Ausdruck des Humanismus und der Aufklärung, weshalb ihre
Formen an Universitäten und Museen wiederverwendet wurden. Und
das Barock wurde für Schlösser, Residenzen und auch Theater wieder-
entdeckt.”
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte man in
Stuttgart an zwei Schulen Architektur studieren. Aus den vorhandenen
Quellen kann nicht entnommen werden, an welcher Schule der junge
Johann Laternser lernte. Die heutige Fachhochschule Stuttgart - Hoch-
schule für Technik, war 1832 als Winterbaugewerbeschule gegründet
worden. Latensers Aussage in seinen Memoiren, dass er im Winter in
Stuttgart die Schule besuchte und im Sommer auf Baustellen seines
Bruders in und um Strassburg arbeitete, könnte ein Hinweis darauf
sein, dass er sich an diesem Institut ausbilden liess. Die andere Mög-
lichkeit bot die heutige Universität, 1829 als Real- und Gewerbeschule
gegründet. Zwischen 1860 und 1890 galt ihre Architekurabteilung als
ein Zentrum der Architekturausbildung.“®
Es wäre verwegen, etwas über Johann Laternsers Vorbilder zu
sagen, denn es ist nicht bekannt, wer genau seine Lehrer und Vorbil-
der waren. In seinen Memoiren ist neben ein paar allgemeinen Äusse-
rungen über die Qualität der Ausbildung in Stuttgart einzig vermerkt,
dass er für die praktische Ausbildung im Sommer das Steinmetz-
Gewerbe auswählte, «ein Lieblingsfach von (ihm), das Steinmetzarbei-
ten und Bildhauerarbeiten einschloss.»“?
Aus der Autobiographie geht hervor, dass er länger in Chicago tätig
war, als er in Stuttgart Unterricht genoss. Das Chicago des ausgehen-
den 19. Jahrhunderts war ein, wenn nicht der Ausgangspunkt für die
moderne Architektur. Nachdem Latenser in Stuttgart dem Historismus
ausgesetzt, bestimmt aber begegnet war, wurde er hier mit dem Funk-
„atenser