auf Malereien und Dekorationen. Sie hatte recht. Der Restaurator be-
stätigte, dass Hermine intuitiv die geschichtliche Bedeutung des Hau-
ses erkannt hatte.
La Condesa
Frau Kindle de Contreras Torres möge verzeihen, wenn nicht alles,
was über sie geschrieben wird, der nackten Wahrheit entspricht. Ihre
tiefe Überzeugung, etwas Besonderes zu sein - so wie überhaupt jeder
Mensch etwas Besonderes ist, unabhängig von Ort und Umstand der
Herkunft —-, ist eben auch der Stoff und das Mysterium der Märchen.
Ob es sich nun um einen kleinen Schneider, um ein Mädchen, das in
der Asche sitzt oder um die «echte» Prinzessin handelt, die auch über
zehn aufeinandergeschichteten Matratzen noch die kleine Erbse spürt:
bei allen schält sich nach Umwegen und bewältigten Hindernissen der
wahre Kern ihres Wesens heraus, nämlich ein König oder eine Königin
zu sein. Und natürlich steht den Helden und Heldinnen jede Menge
Helfer zur Seite.
Dass die kleine Hermine nicht barfuss zur Schule ging, tut der Le-
gende keinen Abbruch, im Gegenteil. Wenn möglicherweise alle Tries-
ner Kinder damals vom Mai bis in den Spätsommer, also in den Mona-
ten ohne «r» im Namen, barfuss gingen, sie, die kleine Hermine, be-
kam von ihrem Vater Schuhe, sei es, weil sie empfindliche Füsse hatte,
sei es, weil sie sich schon als Kind durchzusetzen verstand. Jahre lang
sei sie Baron von Falz-Fein böse gewesen, weil er in einer Reportage
die Legende vom barfüssigen Fabriklerkind in die Welt gesetzt hatte,
wahrscheinlich eine jener Legenden, die von Werner Wollenberger
kolportiert wurden.
Zweifellos sorgfältig und solide beschuht ist sie nach Liechtenstein
zurückgekehrt, hat Böden und Liegenschaften gekauft und sich bei An-
rainern den Ruf erworben, dass sie jedes Klafter hütet. Ohne handfeste
Gegenleistung gibt Hermine Kindle de Contreras Torres niemandem
einfach so das Wegrecht über ihr Eigentum. Wer derartiges Tauziehen
ebenso liebt wie sie, kommt nicht umhin, ihr selbst als Verlierer im
Kampf um ein Stückchen Boden Respekt zu zollen.
In jedem Leben gibt es Geheimnisse. Es wäre zuviel anzunehmen,
dass Hermine wie Dürrenmatts «Alte Dame» zurückkehrte in ihr Dorf,
um sich, inzwischen reich geworden, für vergangene Frevel zu rächen.
Die Armut, die damals herrschte, könnte niemandem als persönliche
Schuld angelastet werden, aber unterschwellig galt Armut als Schan-
de. Es gab andere Auswanderer, die unverhohlen zugaben, sie wollten
«den Alten» zu Hause beweisen, dass man es zu etwas bringen kann.
1951 war es ihr möglich, die Burg Gutenberg zu kaufen und der auf
der Leinwand personifizierten Carlota als Condesa (Gräfin) die materi-
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