nicht verdammen. Man kann auch teilen, mit jeder Münze ein Lächeln
verschenken.»
Sie lädt mich ein, mit ihr einen süssen mexikanischen Likör zu trin-
ken und schiebt mir in Zucker eingelegte Früchte zu. «Heute hat mir
ein Baum diese Orchidee geschenkt.» Sie zeigt auf die Blume in der
schmalen Vase, die aussieht, als hätte sie unser Gespräch verfolgt. Ich
reagiere verwirrt. Ist sie eine Schwärmerin, spielt sie gerade eine
Sequenz aus einer ihrer Filmrollen, oder ist diese Bemerkung ihre Art
von Gebet? «Gott hat mir Schönes gezeigt auf seiner Welt, Ich habe
mit Miguel Contreras Torres über hundert Reisen gemacht. Es gibt
doch ein Lied <Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in
die weite Welt.» Sie singt einige Töne, und dabei klingt ihre sonst
feste Stimme etwas brüchig.
Zum Abschied häuft sie dicke schwere Bücher auf meinen Arm
das schriftstellerische Werk ihres ersten Mannes. Meine Spanisch-
kenntnisse sind dieser Lektüre nicht gewachsen, aber es sollen Schrif-
‚en sein über Kunst und Künstler, Politik, Film und Religion.
Beim Hinausgehen bleibe ich vor einem Bild an der Wand stehen:
einer Fotografie der Burg Gutenberg. «Natürlich war diese Burg schon
immer in meinen Gedanken. Ich habe sie bewundert, sah ihre Türme in
der blauen Luft. Als Kinder haben wir mit der Lehrerin einen Spazier-
gang nach Balzers gemacht. Damals gehörte die Burg noch der Fami-
lie Rheinberger. Ich habe die Augen weit aufgemacht und zu Hause
alles erzählt. Damals sah ich die Burg sicher noch nicht in meinem
Besitz, höchstens im Unterbewusstsein. Ganz bestimmt hatte ich eine
geistige Führung. Und mit einer solchen ist das Leben einfach.»
Die geistige Führung verkörpert sich in Hermines vitalem Naturell.
Krank sei man nicht, ist ihre Einstellung. Auch wenn selbst für sie ein-
mal nicht alles glatt läuft, verdrängt sie es und mobilisiert eine unge-
heure Energie, mit der sie das Unangenehme, auch körperliche
Schwächen, überwindet.
Der Überzeugung, dass man mit Gott zum Beispiel auch gegenüber
Einbrechern in der Mehrzahl ist, hat sie konkret nachgelebt: Sie hat
sich mehrfach geweigert, sich für ihre Häuser eine Einbruchs- und
Diebstahlversicherung verkaufen zu lassen. «Das nützt nichts. Hier
hilft allein das Vertrauen auf Gott.»
Sie habe Antennen für das, was in der Luft liegt, bestätigen Leute.
die mit ihr gearbeitet haben. Dass sie auch eine «Kraft» besitzt, eine
Art Zweites Gesicht, bewies sie bei der Renovation eines der ältesten
Häuser in Triesen (das sie inzwischen wieder verkauft hat). Obwohl sie
nicht gut sieht und aus Eitelkeit keine Brille trägt, forderte sie den
Restaurator auf, weiter unter den Schichten des Verputzes zu suchen.
«In dem Haus ist etwas», behauptete sie. Und tatsächlich stiess man
Kindle de Contreras Tarres
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