‚oretta Federspiel-Kieber'
«Jeder schmiedet sich seine Heimat selbst, denn die wahre Heimat
ist das Innenleben»
zine Begegnung mit Hermine Kindle de Contreras Torres
Als Kind hörte ich Erzählungen von einer geheimnisvollen, immer ab-
wesenden Schlossbesitzerin, der Herrin der Burg Gutenberg, die Mehl
auf die Fenstersimse der Burg streute, damit Einbrecher darin ihre
Spuren, besser noch ihre Fingerabdrücke, hinterlassen würden. Da ich
nie die Burg von innen gesehen hatte, war sie in meiner Vorstellung
ein Märchenschloss in Gold und Purpur, alles von schneeigem Weiss
überstäubt, so wie das Schloss Dornröschens nach dem hundert-
jährigen Schlaf seiner Bewohner ausgesehen haben mag. Die Persön-
lichkeit der Besitzerin, Frau Hermine Kindle de Contreras Torres, mit
Künstlernamen auch Medea de Novara oder «La Condesa» («die Grä-
fin») und «La Dama de la Pantalla» («Die Dame der Leinwand»)
genannt, ist aus dem Stoff gemacht, der Legenden nährt und Bilder für
Märchen liefert. Die Anzahl ihrer Namen ist Omen, sie sind zugleich
Schlüssel zu ihrer Lebensgeschichte und Türen zu ihrer Persönlichkeit.
Eine Legende wird lebendig
Viele Jahre später höre ich wieder von Hermine, es ist wiederum eine
Legende, wenn auch von etwas anderer Art als diejenige vom Mehl auf
den Simsen. Der Zürcher Journalist und Cabaret-Texter Werner Wol-
lenberger, der in Vaduz aufgewachsen und vor seinem Tod Redaktor
bei der Zeitschrift «Annabelle» gewesen war, riet mir, über die
Schlossbesitzerin zu recherchieren, denn was er selbst von ihr zu wis-
sen glaubte, war geheimnisvoll genug, um ihn eine spannende
Geschichte ahnen zu lassen: «Sie war noch ein kleines Mädchen, bar-
fuss und schmutzig wie alle Kinder aus den armen Fabriklerfamilien
in Triesen; bei Föhn hat sie nach Balzers hinaufgeschaut, das Schloss
ins Visier genommen und sich gesagt: «Dieses Schloss werde ich ein-
mal kaufen, wenn ich gross bin.» Das hat sie angestrebt und erreicht.»
Wollenberger glaubte auch zu wissen, wie es dazu gekommen Sei:
«Nach der Schulentlassung kam sie als «Mädchen für alles» in ein
Gasthaus in der französischen Provinz. Eines Tages logiert dort ein
reicher mexikanischer Filmproduzent. Er erblickt die schöne junge
Frau beim Gemüseputzen, verliebt sich in sie und heiratet sie. Dann
erfüllt er ihr den sehnlichsten Wunsch, nämlich Besitzerin der Burg
Gutenberg zu werden.»
Frau de Contreras Torres sieht mich einen Moment lang entgeistert
an, als ich ihr diese Geschichte erzähle. «Nein, so ist es nicht gewe-
Kindle de Contreras Torres
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